Türchen 29
Weihnachts-Phantasie
Früher war Weihnachten für mich einfach Weihnachten. Keine Frage. Das Jesuskindlein erblickte im Dunkel der Nacht das Licht der Welt. Dort im Stall. Die heiligen drei Könige überbrachten Geschenke. Ein wunderschöner Stern leuchtete am Himmel.
Später nannte er sich Christus und wirkte angeblich Wunder. Mir war noch nicht klar, dass er ein Aufwiegler war. Er gründete seine eigene Sekte und starb am Kreuz. Auf Predigten, dass es nur einen Gott gibt, und zugleich die vielen anderen Götter verleugnen, stand nunmal die Todesstrafe.
Das „Vater unser“ kannte ich jedoch. Also war klar: Er stieg hinab in das Reich der Toten, fuhr in den Himmel auf und richtet seitdem über die Lebenden und die Toten. Etwas unlogisch, aber vorteilhaft. Die Kirchen bekommen ihre Steuer, die Menschen den Sündenerlass.
Ich fragte mich auch nicht, warum alle Kinder Geschenke bekommen. Es ist der Geburtstag vom Christkind, nicht meiner. Etwas unlogisch, aber vorteilhaft. Geschenke kriegen ist immer gut. Dafür ging ich brav in die Christmesse und hörte mir ein ums andere Mal die Weihnachtsgeschichte an. Mit Erfolg: ich war für den Rest des Jahres vom sonntäglichen Gottesdienst befreit. Meine Eltern ebenso.
Bis zum Eintritt meiner Pubertät war Weihnachten einfach nur Weihnachten. Aber dann stellte sich mir eine entscheidende Frage:
Wie konnte das passieren?
Was genau geschah, als Jesus gezeugt wurde?
Mit diesen Fragen kam die Angst.
Meine Mama hatte mich über Sex aufgeklärt. Ein wenig. Und ich las heimlich „Fanny Hill“. Nachts, mit Taschenlampe, unter der Bettdecke. Das verbotene Buch. Unbemerkt hatte ich es aus der Bibliothek meiner Eltern entwendet.
Angeregt durch die Lektüre erkundete ich meinen Körper. Erforschte die Zonen, die sich plötzlich mit Haaren schmückten. Fasste meine wachsenden Brüste an. Es weckte ganz neue Gefühle.
Manchmal, wenn ich die Taschenlampe endlich ausgeschaltet hatte, lag ich einfach da und stellte mir vor, Sex zu haben. Nicht wie Fanny. So eine war ich natürlich nicht. Sondern wie Maria. Vom Heiligen Geist erfüllt.
Ja, es überkam mich. Ich räkelte mich, seufzte leise, genoss die Wonnen, die durch Geisterhand entstanden. So ein heiliges Glied aus Geist beließ mich auch weiterhin als Jungfrau. Oder war ich ebenso auserwählt? Würde ich jetzt schwanger werden?
Mit zunehmender Reife kamen noch mehr Fragen auf:
In welcher Stellung empfing Maria ihr Kind?
Und der Herr erschien und sprach: „Knie nieder, Maria. Ich werde Dir den Heiligen Geist schicken. Dieser wird in Dich eindringen. Und Du wirst ein Kind empfangen.“ Ja - wie? Maria folgt den Anweisungen ihres Herrn, begibt sich auf alle viere. Und der Heilige Geist fährt von hinten in sie ein? Oder war sie unterlegen, lag also unten, und der Heilige Geist kommt über ihr? Oder hat sie den heiligen Geist geritten?
Und was ist mit dem heiligen Geist-Sperma? Das musste doch göttlich potent sein. Spermien mit immenser Kraft, die alle in ein und dieselbe Eizelle eindringen wollten.
Wie konnte da nur ein einziges Kind entstehen? Maria hätte doch mindestens Zwillinge kriegen müssen. Man stelle sich nur vor: Jesus im Doppelpack. Doppelter Sündenerlass. Doppelt so viele Wunder. Doppelt so viele Weihnachts-Geschenke.
Nein, die Geist-Nummer konnte ich nicht mehr glauben. Und Angst vor Geister-Schwangerschaft hatte ich auch nicht mehr. Ich forschte ein wenig nach Tatsachen:
Josef war ein alter Mann. Maria ein junges Ding. War sie ein gefallenes Mädchen, von einem anderen schwanger? Fast wahnsinnig vor Angst, für ihren Fehltritt gesteinigt zu werden?
Ich stellte es mir so vor: Sie war heftig verliebt. Ihr Liebster war Soldat und musste bald mit dem Heer weiter ziehen. In der letzten Nacht vor seinem Aufbruch war es passiert. Berauscht von Liebe und Wein fielen sie übereinander her. Es war die schönste Nacht ihres Lebens. Maria verlor ihre Unschuld. Er verlor, kurze Zeit später, sein Leben. Im Krieg.
Maria aber war schlau. Sie erzählte die Geschichte vom Heiligen Geist. Das war gerade Mode. Die Sache mit den Geistern. Und Josef unterstützte sie mit weiteren Geschichten von Träumen,Verkündigungen und heiratete sie.
Warum tat er das?
Es war ein Traum, von diesem hübschen Mädchen umsorgt zu werden. Sie würde ihm auf immer und ewig dankbar sein. Schließlich hatte er ihr und ihrem Kind das Leben gerettet.
Gleichzeitig war Maria für ihn eine hervorragende Altersvorsorge. Eine kostengünstige 24-Stunden-Kraft, nicht aus Polen, sondern aus Palästina. Das kam ihm gerade recht. Schließlich war er nur ein einfacher Zimmermann. Sie würde ihm den Hintern putzen, wenn er es selbst nicht mehr konnte. Sein Essen zubereiten. Den Haushalt in Ordnung bringen. Er könnte sich dabei ungeniert Altmänner-Phantasien hingeben. Fiagra gab es damals noch nicht.
Heute ist Weihnachten für mich nicht mehr Weihnachten. Es ist das Fest der Liebe. Dazu brauche ich keinen Heiligen Geist. Nur einen Mann, den ich liebe. Ich brauche keine Geschenke. Nur das Geschenk des lustvollen Zusammenseins.
Gerne dürfen drei heilige Könige aus dem Morgenland in meinem Stall auftauchen. Oder einfach drei liebe Männer. Und mich zusammen mit meinem Liebsten verwöhnen. Nach Strich und Faden. Ich bin der wunderschöne Stern, der die Männer führt. Und wenn wir gemeinsam kommen, erfüllt es sich: Uns ist ein Wunder geschehen. Frohlocken und Jauchzen. Die ganze Nacht.
Dieser Wunsch ist vielleicht etwas unlogisch. Aber wenn er sich erfüllt, überaus vorteilhaft.
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