Türchen 8
Im Dunkel der Nacht
Mondlos war die Nacht, wolkenlos und sternenklar. Der Mann im schwarzen Mantel sah nicht viel, als er aus dem Auto stieg und leise die Tür ins Schloss fallen ließ. Augenblicklich stieg ihm die Kälte in die Glieder, machte ihm bewusst, dass es Mitte Dezember war, kurz vor Weihnachten. Geschneit hatte es noch nicht, doch seit ein paar Tagen war die Temperatur deutlich spürbar in den Keller gerutscht. Zwar noch keine Minusgrade, aber nahe dem Gefrierpunkt. Laut knirschten seine schweren, nietenschnallenbesetzten Stiefel über den Schotter des Parkplatzes. Nur mit Mühe hatte er eine freie Parkmöglichkeit gefunden, nun folgte er dem unbeleuchteten Weg um das alte Backsteinhaus herum, der Eingang lag auf der anderen Seite.
Trotz des Mantels fror der Mann. Verständnis kam auf für all die Damen, die sich Woche für Woche aufmachten zu heißen Erotikpartys, nur spärlich bekleidet in aufreizendem Outfit. Denn heute Nacht war auch er geladen, teilzunehmen auf einer ebensolchen Veranstaltung. Nackt war er unter dem kurzen schweren Lederrock, der dem gut trainierten Besucher gladiatorengleich erscheinen lassen würde. Ein eng geschnürter Lederharness auf nacktem Oberkörper blieb, zusammen mit Rock und Stiefeln, die einzige Kleidung, die er trug. Fröstelnd schlug er den Kragen des Mantels hoch, schlang die Arme um die Brust und ging mit eiligen Schritten voran.
Heute Nacht hatte Bernhard sich erstmalig durchgerungen, seiner Bi-Neigung nachzugehen. Schon immer hatte er gewusst, dass er eine spezielle Ader besaß, die ihn gleichermaßen hinzog zu Frauen, wie auch zum gleichen Geschlecht. Der heutige Abend stand unter dem Motto „Gay Night“. Etwas nervös war er schon, als er am Eingang das Salär entrichtete, das verzückte Lächeln des Kassierers war nicht unbedingt das, was er sehen und erleben wollte. Er war an reiner Männerenergie interessiert und nicht an tuntenhaftem Gehabe. Entschlossen stieß er wenig später, nachdem er seinen Mantel an der Garderobe abgegeben hatte, die schweren Doppeltüren auf und trat ein in die Welt der Lasterhaftigkeit. Wohltuend schlug ihm der Beat von Techno-House-Musik entgegen, grelle Lichtblitze flirrten durch den Raum. Gut besucht war der Club, den er erstmalig für sein neues Abenteuer ausgewählt hatte und der am Ortsausgang einer ihm fremden Stadt gelegen war, für den er die weite Anreise in Kauf genommen hatte. Er wollte es vermeiden, irgendwen aus seinem Bekanntenkreis zu treffen, wollte zunächst nur für sich ergründen, wie ihm das Ausleben seiner Neigung gefallen würde.
Zu seiner Überraschung war auch eine nicht kleine Anzahl an Frauen anwesend. Wild zuckten ihre Leiber auf der Tanzfläche zum Rhythmus der Bässe, ließen sich betanzen von jungen Männern im Matrosenlook und nackten Oberkörpern. Nebelschwaden waberten und hüllten den großen Raum ein, kokonierten ihn, ließen die Körper, die sich etwas entfernt von Bernhard bewegten, wie Schemen erscheinen. Heiß und sexy waren sie gekleidet, die Damen, viel nackte Haut zeigend, kaum verhüllte Reize. High Heels und Oberkneestiefel, so wie Bernhard es mochte und so wie es ihn erregte. Er fühlte sich auf Anhieb wohl und ließ sich einhüllen, gab sich dem tranceähnlichen Zustand hin, sah sich mit lüstern werdendem Blick um. Sex lag in der Luft! Verlangen! Begehren! Nicht viel deutete auf den ersten Blick darauf hin, dass das Motto des Abends ein besonderes war.
Bernhard fand einen freien Platz an der Theke, setzte sich auf den Barhocker und stellte erschrocken fest, wie weit ein Rock hochrutschen kann und wie ungeschützt man sich fühlt, wohlwissend, dass Gemächt und Schenkel sich entblößten. Etwas peinlich berührt hielt er den Körper zunächst noch zur Theke hingewandt, doch nach dem ersten kräftigen Drink drehte er sich offen hin zur Tanzfläche und harrte der Dinge, welche die Wirkung seiner auseinandergestellten Beine und dargebotenen Pracht nach sich ziehen würden. Bernhard aber war nicht zum Tanzen hierher gekommen. Diskret schaute er sich um, suchte etwas Bestimmtes. Fand dies nach einer Weile. Einen fluoreszierenden Schriftzug. „Gay Darkroom“. Dorthin zog es ihn.
Entschlossen erhob er sich und schob sich durchs Gedränge. Er hatte es nicht eilig, der Abend war lang. Viel mehr genoss er nun das Pulsieren der Menge, spürte erste Hände, die ihn berührten. Zunächst wie absichtslos, strich auch er nun hier und da über nackte Schenkel, streifte sie im Vorbeigehen, wurde mutiger. Nackte Frauenbeine, halbentblößte Popos, er berührte sie, fasste sie an. Deutlich spürte er seine Erregung, wie es unter seinem schweren Lederrock anschwoll, wie die Lust Einzug hielt, wie er scharf wurde. Und wie es ihn hinzog zu dem schwarzen Vorhang unter dem markanten Schriftzug. Soll ich, oder soll ich nicht? Sein Herz klopft wild, trotz des bereits gefassten Entschlusses. Er war an diesen Ort gekommen, um etwas Neues zu erleben, nun aber spürte er doch eine ungewisse Aufregung, gepaart mit dem lustvollen Ziehen in seiner Lendengegend. Bernhard zog den Vorrang an der Wandecke beiseite und trat ein. Augenblicklich hüllte ihn tiefste Dunkelheit ein. Dieser Darkroom trug seine Bezeichnung zu Recht. Nicht die Hand vor Augen konnte er sehen, und auch nachdem er sich an die Schwärze gewöhnt hatte, wurde es nicht wesentlich besser. Es blieb stockfinster. Gedämpfter auch die Musik. Vorsichtig und langsam setzte er einen Fuß vor den anderen, hielt die Arme vor sich angewinkelt, tastete sich vor. Doch er blieb unbehelligt, obwohl er sie hörte. Andere Männer. Nahm eindeutige Geräusche wahr und leises, lüsternes Geflüster.
Schließlich fand er eine Wand, an die er sich lehnen konnte. Erleichtert atmete er aus, so gefiel es ihm. Angelehnt an einer Wand zu stehen und zu lauschen. Er entspannte sich und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Ungeniert fasste er sich unter den Rock, sein bestes Stück stand bereit. Entschlossen packte er zu, rieb sich. War sich dem Schutz der Dunkelheit bewusst. Die Sinne sensibilisiert, und doch zuckte er zusammen, als er berührt wurde, eine Männerhand ihn zunächst streifte. Kurz darauf zurückkehrte und sich auf die Innenseite seines Oberschenkels legte. Bernhard wich nicht zurück, er ließ die Hand gewähren, die sich ohne Umschweife unter seinen Rock schob. Der fremde Mann drückte sich dicht an ihn heran. „Fass mich auch an!“, flüsterte die Stimme. Bernhard schluckte, doch dann obsiegte seine Gier, er wollte es. Hier und jetzt. Zunächst noch etwas unsicher schob er seine Hand unter das fremde Gemächt. „Jaaa!“, stöhnte der Mann ihm ins Ohr. Bernhard wurde mutiger, seine Hand glitt hoch, fand den strammen, harten Schaft, griff entschieden zu. Gleiches tat der Mann bei ihm. Gut fühlt sich das, dachte Bernhard. Wie herrlich schamlos und verdorben. Das macht mich an!
Als ein zweiter Mann hinzutrat, war ihm längst alles egal. Der erste befand sich bereits in der Hocke und verwöhnte ihn oral, der Neuhinzugekommene wollte sich nur von Bernhard das harte Glied reiben lassen. Bernhard tat ihm den Gefallen. Wie schamlos er sich vorkam, fast ein wenig nuttig, er genoss es, er erregte sich mehr und mehr. Was für eine verdorbene Energie, dachte er, wie zügellos, wie eindeutig anders, als dies mit einer Frau zu tun in einem Darkroom. Wie unglaublich es sich anfühlt, auch andere harte Tatsachen zu fühlen, zu drücken und zu reiben.
Nach einer Weile jedoch entzog sich der vor ihm hockende Mann und auch der zweite schlich davon, auf zu anderen Gestaden, wie er lachend sagte. Bernhard stand wieder alleine da. Hoch ragte sein Teil unter dem Rock hervor und er legte erneut wieder selber Hand an. Genoss die erregende Wonne, die ihn erfüllt hatte. Breitbeinig stand er da, lauschte in die Dunkelheit. Es dauerte einige Zeit, bis sich ihm wieder eine Hand näherte. Diese jedoch war rauer, Bernhard spürte Schwielen, es war eine sehr kräftige Männerhand. Etwas an der Hand war anders als an den vorigen. Rücksichtslos kam sie ihm vor, nicht mehr zärtlich und begierig, so wie die anderen zuvor. Ein Eisesschauer lief ihm über den Rücken, stilles Entsetzen breitete sich schlagartig in ihm aus. Sekundenbruchteile nur, dann war ihm klar, dass es bereits zu spät war, um zu reagieren und zu handeln. Hart presste sich die Hand auf seinen Mund. Er spürte scharfen, kalten Stahl an seiner Kehle und nur einen Wimpernschlag später den tödlichen Schmerz, der ihm das Gehirn aus dem Schädel zu sprengen drohte. Das Geräusch, das ihm den Hals aufschnitt, die Kehle teilte und auch die Halsschlagader durchtrennte. Wie etwas Warmes ihn über Brust und Bauch schwappte, auch sein Gesicht traf. Sein eigen Blut. Wie Worte in seinen Gehörgang drangen, das Gehirn jedoch nicht mehr erreichten. „Typen wie du sind das Allerletzte, verdammte Schwuchtel! Du wirst nicht der letzte sein, der hier und heute Nacht sein Leben aushaucht!“
Reglos rutschte Bernhards Körper an der Wand des Darkroom herunter, schlug auf den Boden auf. Dumpf wummerten die Bässe weiter.
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