Türchen 7
Eine Weihnachtsutopie - Als Die Welt im Dunkel der Nacht zu versinken drohte.
Es war einer dieser garstigen Tage Mitte Dezember, die schneegematscht und windig schon am frühen Morgen den Wunsch nach einem alkoholischen Heißgetränk am offenen Kamin weckten.
Er stand in der Reihe seiner Mitarbeiter und bereute ein ganz klein wenig, die von ihm verfügte Aufhebung der Hierachievergünstigungen.
Sie alle warteten darauf, von den Angestellten des Sicherheitsunternehmens Einlass in ihr Büro an der 1600 Pennsylvania Ave gewährt zu bekommen. Ich muss da dringend mit Clint drüber sprechen, ob wir diesen Anachronismus weiter aufrecht erhalten müssen, dachte er, während er in der Schlange weiter vorrückte um dann auch endlich in den ‚Physical Verification Scanner‘ eingelassen zu werden.
Er verharrte einen Moment mit nach vorn gehaltenen Handflächen, bevor eine angenehme Stimme verkündete: „Guten Morgen, Herr Direktor, ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag.“
Kurz darauf eilte er in sein Büro, das schon Generationen von dubiosesten Egomanen auch als Arbeitsplatz gedient hatte und nun ihm, dem Direktor des ‚Pangeografischen Zentrums für genealogische Verständigung‘, als Wirkungsstätte diente.
Kaum hatte er seinen Mantel ausgezogen und sich die klammen Finger am lustig prasselnden Kaminfeuer gewärmt, kam auch schon sein engster Mitarbeiter Clint Hilton, ein Tablett mit dampfendem Kaffee balancierend, in den Raum geeilt.
„Oha, nicht so hastig, mein lieber Clint, was wird uns der Tag heute bringen?“
„Ach eigentlich nichts Besonderes. In Sektor 1 spielen die ehemaligen Banker und Wirtschaftsbosse Globalisierungs-Monopoly. Wir mussten ihnen grad wieder neue Geldscheine drucken, da die alten nicht mehr ausreichten, um die Gewinne zu verteilen“
„Allerdings gibt’s auch da mal wieder ein bisschen Unmut. Die Leute von ‚Pear‘ und ‚Massenauto‘ behaupten, dass ihre Nutzungsbedingungen und Bedienungsanleitungen nun langsam doch den Status einer Buchreligion erlangt hätten und fordern die Aufnahme in Sektor 3“
„Ach ja, und Marco Zackenberg und Harry Beige haben gestern versucht, mithilfe ihrer Bots, zu den beliebtesten Internetz Persönlichkeiten zu werden. Wir mussten die Counter ihrer ‚Like‘ Felder auf Suprainteger erweitern, damit es keinen Kollaps gab“
‚Ja, sehr schön, da sind dann ja alle bestens beschäftigt. Gibt es denn noch irgendwelche Neuigkeiten?“, fragte er.
„Nun Sir, wir haben einen neuen Zugang in Sektor 3. Damit sollten so ziemlich alle aktuellen Brandherde unter Kontrolle sein.“
„Fein, das klingt vielversprechend. Wie haben Sie das wieder angestellt? Wer ist es diesmal?“
„Den Tipp bekamen wir von der Insel, die ehemals als ‚vereinigtes Königreich‘ bekannt war und nun wieder zu ihren ursprünglichen Tugenden, wie der Schafzucht, dem Herstellen vorzüglicher berauschender Getränke und der Verfeinerung heißen Wassers durch aromatische getrocknete Blätter zurück gefunden hatte.“
„Alte Geschäftsbeziehungen nutzend, konnten wir das Oberhaupt eines Wüstenstaates, der sich zuletzt immer mehr mit der Frage über die Nachfolge eines gewissen Mohammeds ins Zentrum des Interesses gebracht hatte und damit einen jahrtausende langen Disput zu eigenem persönlichen Nutzen geschürt hatte, aufspüren.“
„Ein Großteil der Fehden dieser Welt ließ sich auf diese eine Frage zurückführen. Im Laufe der Generationen waren er und seine Mitstreiter zu unermesslichem Reichtum gelangt, jedoch nie damit glücklich geworden, hatten aber Millionen und Abermillionen eigentlich friedliebender Menschen ins Verderben gerissen.“
„Eine globale Krise drohte, als der russische Zar Wladimir, der ja schon eine Weile unsere Gastfreundschaft genießt, nun mit einer Ankündigung, seine Jacht um weitere 20 m zu verlängern und damit die 350 m der Jacht unseres neuen Gastes, um sage und schreibe 1,75 m zu übertreffen, an die virtuelle Öffentlichkeit trat. Unsere Agenten verstanden es, insbesondere der sehr tüchtige 007, der, trotz zweifelhafter Vergangenheit, noch immer ein angesehener Bürger der eingangs erwähnten Insel ist, diese Nachricht auf delikateste Weise zu lancieren. Wenn Sie verstehen, was ich meine Sir.“ Clint zwinkerte leicht anzüglich mit einem Auge.
„Sie offerierten ihm eine Aussprache mit dem Zaren um seinen Führungsanspruch in dieser Angelegenheit zu manifestieren“ , fuhr er sogleich fort.
„Nun, die Eitelkeit ließ ihn aus seinem Palast, ganz ohne Zwang, zu uns kommen“, ergänzte Clint.
Der Direktor nickte. Ja, so hatten sie noch alle irgendwie dazu bewogen, freiwillig zu ihnen zu kommen. Die Aussicht auf risikolose Erfüllung ihrer eigenen Gelüste, ganz gleich ob es sich um uneingeschränkte Wirtschaftsmacht, religiöse Obsessionen oder politische Allmachtsfantasien handelte, hatte sie allesamt zu ihnen geführt und zufriedene und dankbare Klienten, oder waren es Patienten, aus ihnen gemacht.
Kern des Erfolges war zweifellos die globale Datensammelwut ihrer Vormieter in den Räumlichkeiten gewesen. Allerdings hatten die überaus beeindruckenden Leistungen seines Stabs kreativster Softwareentwickler, einen erheblichen Anteil an diesem Erfolg gehabt.
So hatten sie eine virtuelle Welt geschaffen, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte. Seine Gäste wurden mit den exquisitesten Animationen ihrer jeweiligen Interessens-Sphäre beglückt und konnten ihrem Geltungsdrang völlig freien Lauf lassen.
Da für die einzelnen Gäste nur jeweils sehr wenig Raum zur Unterbringung erforderlich war, konnten mittlerweile so gut wie alle Despoten, Wichtigtuer und Spinner dieser Welt zu glücklichen Menschen gemacht werden und die übrige Welt damit unbehelligt Ihrem friedvollen Tagewerk nachgehen.
Während er noch so darüber sinnierte, klingelte sein Telefon.
Er hob ab und hörte die etwas atemlose Stimme seines IT-Leiters.
„Sir, tut mir leid, Sir, Sie am frühen Morgen stören zu müssen, aber wir haben in Bereich 911 der Sektion 2 erneut ein kleines Problem.“
„Wo drückt denn der Schuh“, Tom, fragte er freundlich, wohl wissend, dass sie bisher für alle nur erdenklichen Problemstellungen eine Lösung gefunden hatten.
„Sir, unser spezieller Gast, der in 911 einsitzt, ähm nein, residiert, hat einen Memory-overflow ausgelöst.“
„911? Ist das nicht unser guter Freund Jack Donatrumpo?“
„Ja gewiss, Sir, er versuchte zu schnell die Bausteine seiner Mauer aufzustapeln und nun hängt das Programm. Jetzt tobt er und verlangt alle seine Atombomben abzufeuern. Wir würden ihm das ja gerne gewähren, aber wie sie wissen, haben wir diesen unwahrscheinlichen Fall nie zu Ende programmiert. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die Bausteine wieder flott zu bekommen, damit er seine Mauer einfach weiter bauen kann.“
„Ist recht, Tom, danke für die Nachricht, ihr Jungs werdet das bestimmt bald hinbekommen. Sonst schaltet ihm während der Wartezeit diese aparte Französin zu, die seit ihrer Wahl zur Präsidentin mit aller Welt kokettiert. Dann ist er einstweilen beschäftigt.“
„Wird gemacht, Chef.“ Der Direktor legte auf.
Ja Clint, ich glaube, wir sind auf einem guten Wege.
Er sah aus dem Fenster des Oval Office.
Es hatte erneut begonnen zu schneien.
Es schien in diesem Jahr eine weiße Weihnacht zu werden und Frieden auf Erden…
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