Türchen 6
Zwischen Erinnerung und Sehnsucht
„Erinnert ihr euch noch? An die Frau, die hier immer in regelmäßigen Abständen vorbei kam?“, fragte er im Dunkel der Nacht ein wenig schwermütig in die Runde.
„Aber ja doch, wie könnten wir das vergessen?“, kam es unisono zurück. „Sie hat diesen, sonst so nüchtern sachlichen Laden richtig aufgemischt, für Furore und Esprit gesorgt. Da erlebten wir nach Dienstschluss live und in Farbe, wie sich das pralle Leben anfühlt und bekamen eine Ahnung davon, wie schön es doch sein kann.“
„Also Kinnerz, mich hat die Art und Weise beeindruckt, wie sie den Raum mit ihrer Präsenz füllte. Alles stand förmlich von null auf hundert in einer Sekunde stramm. Und wie schier die Sonne hier drinnen erstrahlte, obwohl die Räumlichkeiten eher nach Norden gehen. Ihr vielsagendes Lächeln und dieser beschwingte Schritt, wenn sie eintrat. Wie kann ein einzelner Mensch so viel Vergnügen um sich herum verbreiten?“, stimmte sie zu.
„Schade, dass sie schon eine Weile nicht mehr hier war“, seufzte er. „ Ich weiß noch genau, wie sich ihre Haut anfühlte, wenn sie sich gegen mich presste und auch, wie sie roch. Es war so ein dezenter Duft nach Jasmin und noch was. Es ist mir entfallen, aber ich vermeine eine Spur liegt noch immer auf mir. Zwar schwach, aber noch riechbar. Jedenfalls für feine Nasen.“ Sein Lächeln zum Schluss wirkte wehmütig.
„Neroli. Es war ein Parfüm aus Jasmin und Neroli“, piepste es von oben. Die anderen nickten zustimmend und wunderten sich, woher dieser kleine Kerl solche Sachen wusste.
„Ich empfand ihre Kleidung als sehr angenehm“, flüsterte es von unten. „ Ich durfte sie ja halten solange sie hier war. Sie war immer sauber und gepflegt. Sehr anschmiegsam und sie stand ihr hervorragend. Betonte ihre Proportionen perfekt. Sie hatte einen wirklich guten Geschmack, auch was die Farbkombinationen anging. Glaubt es mir, ich weiß wovon ich spreche.“ Sein Ton war mehr als anerkennend und ein leiser Pfiff verstärkte es noch.
„Ihre Strümpfe behielt sie aber immer an“, erwiderten sie verträumt. „Sie waren so seidig, wenn sie uns damit berührte. Sicher nur aus Versehen, aber dieses Gefühl – unglaublich! Wenn sie uns streifte. Es erschien uns immer, als bekämen wir kleine elektrische Schläge. Ein irres Gefühl, das hat etwas sehr anregendes in uns ausgelöst.“ Sie erröteten schamhaft.
„Sie hatte so ein herrliches Lachen. Es hallte durch den Raum, von Wand zu Wand. Es versetzte die Luft in Schwingung, es durchdrang alles. Eine unbeschreibliche Tonabfolge. Ich habe so oft versucht, sie zu kopieren, aber es gelang mir nicht. Sollte sie je wiederkommen, dann werde ich es auf jeden Fall aufnehmen und immer dann abspielen, wenn ich mich einsam fühle“, es schwieg wieder nachdenklich, wie zuvor.
„Und ihr Po. So knackig und weich zu gleich. Einmal saß sie auf mir. Heilige Scheiße! Ich bin fast unter ihr explodiert. Und dann auch noch das andere…Da unten bei ihr …Es saugte sich förmlich an mir fest…Guckt nicht so! Mir war sowas von heiß und beinahe wäre mir eine Sicherung durchgebrannt“, kam es genießerisch von der Seite.
„Ich erinnere mich an ihr Haar. Die langen weichen Locken und der glänzende Schimmer. Manchmal hat sie ihren Kopf in wilder Ekstase hin und her geworfen. Dabei hat sie mich getroffen. Es fühlte sich wie auspeitschen an.“ Sinnlich versonnen seufzte er während es ihn überwältigte. Leise sprach er weiter: „Ich muss euch etwas gestehen Leute, und es ist mir egal, was ihr nun von mir denkt: Das war so geil! Es hat mich angemacht, das so zu spüren. Nein, nicht nur angeregt, es berauschte mich wie noch nie etwas. Ich vermisse dieses Gefühl. Ich will es wieder haben! Wann kommt sie wieder?“
Die anderen im Raum schauten ihn nach dieser Beichte konsterniert an, einige wurden rot, andere kicherten verlegen, eine war merkwürdig still während eine andere sich echauffierte: „Wie bitte? Du bist pervers! Also das hätte ich aber nicht von dir gedacht! Und mit so was muss man zusammenarbeiten, eklig! Schäm dich!“
„Nicht bizarrer in meinem Verlangen als ihr anderen – jeder genießt eben auf andere Weise“, entgegnete der Gescholtene ruhig und einige brummten Zustimmung. Andere wussten nicht so recht wohin mit ihrem Blick. Er aber fühlte sich befreit. Endlich hatte er sich getraut, es auszusprechen. Sollten sie doch denken, was sie wollten! Seine Zeit lief langsam aber sicher ab.
„Für mich waren es ihre Schuhe. Es waren elegante Stiefel aus schwarzem Leder und einem Muster darauf. Die Absätze waren moderat, vermutlich, dass sie draußen nicht weiter damit auffiel, wenn sie sich in der Mittagspause oder nach Feierabend hereinschlich. Zum Glück, sonst hätten sie wohl unsere hübschen Sitzflächen ruiniert, nicht wahr meine Liebe?“ Die so Angesprochene wirkte einen Moment wie in Nostalgie versunken und antwortete mit einem gutturalen Stöhnen:
„Ja, und der Druck ihrer Absätze auf mir war echt geil! Hat mich richtig angemacht, vor allem wenn sie in orgastischer Ekstase diese so richtig hart in mein Polster rammte. Rrrrrrr, so unendlich geil! Ich weiß genau, was du meinst“, hauchte eine der weiblichen Bürostühle dem gescholtenen Jahresplaner zu, „Ich verstehe dich vollkommen und eines wird mir nun klar: Anscheinend bin ich wohl auch pervers. Na und? Wenn ich in der heutigen Nacht einen Wunsch frei hätte, dann wünschte ich mir, dass sie rasch wieder käme. Dieses Gefühl und diese Lust möchte ich noch oft erleben.“
„Ich auch“, seufzte der überbreite Schreibtisch in seliger Erinnerung an den nackten Körper der Frau, der so oft auf ihm gelegen und seiner Lust gefrönt hatte. Er spürte ihr leichtes Gewicht auf sich und ihre – mitunter auch ziemlich nasse Lust bis ins kleinste Stück Preßspan in seinem Inneren.
„Oh ja, oh ja, oh ja“, piepte der Rauchmelder an der Decke, welcher sich als Parfümconnaisseur ersten Ranges erwiesen hatte.
„Dito!“ Das Diktiergerät versuchte dabei ein sexy klingendes Lachen.
„Ganz eurer Meinung“, hallte es von den Wänden und der Teppichboden betonte in einer wellenartigen Bewegung seine Zustimmung, ebenso die Tischbeine, die bekräftigend aufstampften und die Tür, deren Klinke aufsprang. Was hatte ihr Rahmen nicht schon alles mit ihr erlebt? Der Schrank klapperte ebenfalls begeistert mit seinen Türen und die Büroklammern hüpften in Erinnerung an ihre zarten Brustwarzen übermütig auf und ab.
„Gibt es hier im Büro eigentlich noch eine Stelle außer uns, an der sie es noch nicht getrieben hat?“, fragten die Leitzordner angesäuert und kamen sich ein wenig ausgestoßen vor.
„Sie hat es hier nicht nur getrieben“, tadelte die Kaffeemaschine, „das klingt so negativ. Da war auch viel Gefühl bei der Sache. Denkt daran, wie liebevoll er ihr hinterher immer einen Kaffee kredenzt hat und wie gut sie sich noch ein bisschen unterhalten haben. Daran, wie liebevoll er sie beim Abschied küsste und wie zärtlich - trotz aller harten Aktivitäten - ihr Umgang miteinander war. Und nein LO`s, sie waren schon überall, soweit ich das beurteilen kann, oder täusche ich mich?“ Jetzt grinste der Automat mit dem aromatischen Inhalt süffisant und das Inventar fiel prustend mit ein.
„Wieso können wir eigentlich sprechen?“, unterbrach der nagelneue Papierkorb die allgemeine Heiterkeit.
„Nur heute und weil Weihnachten ist“, antworteten die anderen, „an diesem magischen Tag geschehen eben Zeichen und Wunder.“
„Hohoho“, erklang es fröhlich vom Weihnachtsmann als er durch die offene Tür hereinschaute. „Euer Wunsch, meine Lieben, wird euch erfüllt werden. Möge jeder von euch nach seiner Façon genießen. Es tut ja keinem weh. Außer, derjenige wünscht es sich von Herzen." Er zwinkerte vergnügt bei seinen Worten und mit weichem Unterton ergänzte er: "Gleich nach den Feiertagen wird sie wiederkommen, denn auch euer menschlicher Kollege in diesem Büro, hatte in diesem Jahr keinen sehnlicheren Wunsch in seinen Gedanken als diesen.“
...
Fröhliche Weihnachten allen Liebenden, Begehrenden, Sehnenden, sich nacheinander Verzehrenden und möge euch Wunderbares widerfahren.
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