Zweites Türchen
Sie kam, stach und siegte
Der Flug
„Ready for Take Off“!
Das laute Stöhnen der Maschine ging in ohrenbetäubenden Lärm über! Die Turbinen überschlugen sich beinnahe und das Flugzeug wurde schneller und schneller! Als sich der Flieger endlich von der Erde löste, war es wie immer überwältigend für Svenja!
Es kribbelte in ihrem Bauch und es erfüllte sie ein Glücksgefühl, das sie nur vom Abheben eines Flugzeuges kannte.
Morgen war der 24. Dezember, und sie freute sich riesig, Weihnachten am Meer und in der Sonne geniessen zu können.
Unter ihr wurden die Lichter des Rhein/Main Flughafens immer kleiner, und die Autos auf der Autobahn glichen kleinen beleuchteten Go-Carts.
Sie buchte sich immer einen Fensterplatz; denn nichts war faszinierender, als über Länder zu fliegen, die man sonst nur vom Atlas oder den Medien her kannte.
Türkei, Syrien, Irak –
von hier oben konnte man sich nicht vorstellen, dass unten Krieg herrschte,
• sinnloses Morden, egal ob Mann, Frau oder Kind!!
Abgeschlagene Köpfe werden in die Kamera gehalten, um das barbarische Vorgehen in die Welt hinaus zu tragen!!
Wie gehirnkrank müssen die Verantwortlichen sein??
Svenja fröstelte und wandte sich ihrem Nachbarn zu.
Er war ein dicker Mittdreißiger, Schweißperlen auf der Stirn und verströmte den Geruch der Angst. Man sah an seinen zusammen gequetschten, bläulich-weiß verfärbten Händen, dass es für ihn Angenehmeres gab, als in einem Flugzeug zu sitzen.
Hoffentlich gab es bald etwas zu essen!
Sie musste wohl nach dem üblichen catering-food eingeschlafen sein. Ihr Nachbar hatte sich während der Mahlzeit dermassen ausgebreitet, dass sie mit zusammen gequetschten Ellbogen Mühe hatte, nichts zu verkleckern. Ausserdem stierte der Dicke unentwegt auf ihr Tablett, wohl in der Hoffnung, es könnte noch etwas für ihn übrigbleiben? Er hatte sein Essen ja innerhalb kürzester Zeit hinunter geschlungen! Selbst schuld!
Anscheinend durchquerten sie gerade eine Schlechtwetterfront, da die
LED'S leuchteten und die Flugbegleiter durch die Gänge gingen, um die Passagiere zu kontrollieren, ob diese sich angeschnallt hatten, bevor sich die crew selbst setzte.
Die Maschine ruckelte hin und her, sank ab und erhob sich wieder.
Sank ab und erhob sich wieder.
Und sank ab und erhob sich wieder.
Svenja warf ihrem Dicken einen aufmunternden Blick zu, der allerdings nicht erwidert wurde!
Stattdessen starrte er auf die Rücklehne seines Vordermannes, und obwohl die Nachtbeleuchtung an war, sah sie, dass ihr Nachbar kreidebleich war, und dass aus den ehemaligen Schweißtropfen kleine Rinnsale geworden waren!
Halleluja!
Dann vernahm sie nur noch ein kurzes Würgen und der Kotzstrahl traf sie mit voller Wucht! Und gleich noch einer hinterher! Ihr Nachbar hatte wohl keine Zeit mehr gehabt, zur Tüte zu greifen...
Noch vier Stunden Flugzeit. Keine Eratzkleidung im Handgepäck!
Sri Lanka - Svenja was coming.....
Die Ankunft
Die Hitze und die hohe Luftfeuchtigkeit erschlugen sie beinahe, als sie aus dem Flieger stieg! Als würde ihr jemand mit einem Brett vor den Kopf donnern! Aber daran gewöhnte sie sich schnell.
Nach dem üblichen Procedere am Flughafen fand Svenja relativ schnell ihre Tasche auf dem Laufband, und verabschiedete sich flugs in die Toilette, um sich von ihrer getränkten Kotzkleidung zu befreien.
Nachdem sie das Wechselgeld hatte, nahm sie den erstbesten Taxifahrer aus der kreischenden Meute, die draussen die Fahrgäste anheuerten.
Das Gewusel, das Hupen, der Geräuschpegel, das fremdländische Stimmengewirr, die feuchte Hitze – das alles kannte sie bereits, und ihr wurde richtig heimelig zumute.
Endlich wieder Sonnenschein, endlich wieder Wärme!
Svenja liebte die ceylonesische Bevölkerung. Es waren freundliche, herzliche und hilfbereite Menschen, die eine Ruhe austrahlten, wie sie es in Deutschland nicht finden konnte.
Natürlich gab es in den Touristenorten dunkle Gestalten, oder die sogenannten „beachboys“, die sich an Mann oder Frau verkauften. Svenja hatte dies auf einer ihrer früheren Reisen unfreiwillig mitanhören müssen. Sie hasste diesen Touristen, der in ihrer Unterkunft wohnte, und sich an dem ca. 40 Jahre jüngeren Mann verging! Auch wenn es in „beidseitigem Einverständnis“ geschah, so hinterließ dieses Ereignis eine schmerzende Furche, die ihr „gelobtes Land“ in ein anderes, ein dunkles, Licht tauchte.
Auf der 3-stündigen Fahrt nach Mirissa sah sie Kühe, welche gemütlich die Strasse überquerten. Kleine, baufällige Bretterbuden, die ein paar Kokosnüsse davor gelagert hatten, oder Menschen, die vor ihren Hütten die Zähne putzten. Menschen an der Strasse, die aus dem Nirgendwo zu kommen schienen, weil weit und breit keine Hütte zu sehen war.
Der Taxifahrer hielt an einem der shops an, um eine Rast zu machen, und spendierte ihr die erste Kokosnuss ihres Aufenthaltes.
Bald darauf kamen sie an ihrem Bungalow an.
Ein sogenannter Bungalow entspricht in Sri Lanka eher einer kargen Hütte mit einer Schlafmöglichkeit und einem Waschraum. Svenja bezahlte den Taxifahrer, und gab ihm in ihrer Sri Lanka Euphorie ordentlich Trinkgeld. Die ersten Tage waren immer die teuersten!
Der Bungalow
Die Hütte war in Wirklichkeit derangierter als auf den Fotos abgebildet.
Vereinbart war, dass der Schlüssel unter der Holzpritsche im Garten lag. Svenja brauchte nicht dananch zu suchen; denn das Schloss hing offen an der Tür.
Da sie vollbeladen war, stieß sie mit dem Fuß kräftig gegen die Tür. Die Folge war, dass diese gegen die Wand stieß und zurück schlug - direkt auf Svenjas Nase! Autsch, das tat weh! Okay - das nächste Mal wohl doch mit etwas mehr Gefühl!
Zum Glück war es innen kühl, oder sagen wir besser - kühler als draussen. Svenja legte ihr Gepäck ab und sah sich im Bungalow um.
Ein Wasserkocher und etwas Geschirr standen beim Spülbecken.
Das Bett war nett hergerichtet . ' Welcome ' war mit Lotusblüten geschrieben und die Handtücher waren in Schwanenform gefaltet.
Die Meeresbrise bewegte die Vorhänge an den vergitterten Fenster.
Nachdem sie geduscht hatte, ging sie hinaus in den Garten.
Der Ausblick war gigantisch!
Der indische Ozean lag quasi zu ihren Füssen!
In weiter Ferne sah sie riesige Frachtschiffe, die im ersten Moment wie eine Insel anmuteten.
Am Strand liefen vereinzelt Personen und die Fischerboote lagen am Ufer, die zu späterer Stunde zum abendlichen Fischfang auslaufen würden.
Sie setzte sich auf einen wackligen Rattanstuhl und rief ihren Wirt an, um ihn über ihre Ankunft zu unterrichten. Ausserdem wollte sie wissen, wo sie in nächster Nähe ein Lokal finden konnte, um etwas zu essen und vor allem zu trinken!
Nachdem alles geklärt war („sorry madame - no key“), machte sie sich auf den Weg zum Restaurant, bestellte dort einen gegrillten Tuna und eine Flasche Wasser und war zufrieden mit sich und der Welt im Allgemeinen.
Inzwischen war es längst Nachmittag geworden und sie wußte, dass sie sich beeilen musste, wenn sie nicht in der Dunkelheit den unbekannten Weg zurück laufen wollte. (Eine Dämmerung wie in Deutschland gibt es in Sri Lanka nicht. Ruck – Zuck wird der Tag zur Nacht!)
Rechtzeitig erreichte sie ihren Bungalow, zündete die Kerzen an, welche sie vorsorglich mitgebracht hatte (hier gibt es täglichen Stromausfall), und setzte sich noch eine Weile in den Garten, um den majestätischen Sonnenuntergang zu beobachten.
Zuhause würden sie jetzt die letzten Besorgungen für Heilig Abend machen. Gedränge, schlechte Laune und Hektik pur. Auf diese weihnachtliche Stimmung konnte Svenja getrost verzichten!
Was gab es Schöneres, als Weihnachten in Sri Lanka zu verbringen?
SIE
Nachdem Svenja von mehreren Moskitos heim gesucht worden war, entschloss sie sich endlich schlafen zu gehen.
Svenja knipste das Licht und den fan an, durchsuchte das Bett nach ungebetenen Gästen, breitete das Moskitonetz aus und legte sich dann unter das Leintuch. Es fühlte sich klamm an und roch etwas modrig.
Svenja löschte die Kerze auf ihrem Nachtschrank, und richtete noch einmal das Netz, so gut es in der Dunkelheit möglich war.
Die Vorhänge bewegten sich nun stärker im Wind .
Glühwürmchen tanzten vor ihren Augen . Es war ein wahres „Leuchtfeuerwerk“. So viele hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht
gesehen.
“ Besser als in jeder Großraum – Disco“ dachte Svenja vergnügt, und beobachtete den Tanz der Würmer, während sie die letzten 30 Stunden Revue passieren ließ.
Der Flug, ihr Sitznachbar, das Verkehrschaos in Colombo und die Ankunft an ihrem Bungalow!
„Eigentlich habe ich in dieser kurzen Zeit schon recht viel erlebt“, bemerkte Svenja noch bevor sie in den Schlaf fiel.
Im Unterbewußtsein nahm sie das Tosen der Wellen und das Rascheln der Palmwedel wahr. Es war dieses bekannte und zugleich unbekannte Gefühl der Freiheit und Unendlichkeit, welches ihr ein wohlige Geborgenheit vermittelte.
Sie konnte nicht einschätzen, wie lange sie geschlafen hatte, als sie ein kitzliges Krabbeln an ihrem Gesicht wahr nahm. Schläfrig wischte sie sich über ihre Wangen, zu müde, um dem Ganzen mehr Beachtung zu schenken.
Das Krabbeln aber kam zurück.
Irgendetwas stach oder biss sie am Auge, was höllisch brannte und juckte. Svenja, inzwischen wacher als vorher, tastete nach dem Schalter der Nachttischlampe - vergebens! Das Netz !
„Ach so, ich bin ja in Sri Lanka“ murmelte sie vor sich hin, und kroch unter dem Netz hervor, um nach ewigem Suchen endlich die Lampe zu finden. Ihre Augen gewöhnten sich nur langsam an die Helligkeit, aber dann untersuchte sie akribisch ihr Bett und alles was damit zusammen hing.
Nichts!
Es war nichts zu sehen! Und so schnell das Brennen am Auge gekommen war, so schnell war es auch wieder vergangen.
Draussen dämmerte es bereits, und obwohl sie noch müde war, entschloss sie sich, den ersten Kaffee in Sri Lanka zu trinken. Sie stieg in ihre offenen Sandalen (geschlossene Schuhe sollte man vor dem Anziehen möglichst ausschütteln und unter die Lupe nehmen), nahm den Wasserkocher und ging ins Bad, um Wasser zu holen.
Und da war SIE!
Der Wasserkocher krachte auf die Fliesen, und Svenja rannte so schnell sie konnte aus ihrem Bungalow.
„ MOHAN! MOHAN! OPEN THE DOOR! PLEASE!!!
MOOOOHAAAAAAN!!!!“
Sie hämmerte schweißgebadet gegen die Tür ihres Hauswirtes und vermutlich wurde nicht nur er wach, sondern das gesamte Fischerörtchen!
„What happened?“ Mohan sah etwas mißmutig, und vor allem seeehr verschlafen aus, als er ihr öffnete.
„ A SPIDER! AN AWFULL BIG SPIDER!!“
Svenja deutete mit ihren Händen eine 30cm lange Spanne an.
Mohan zog eine Augenbraue hoch und schüttelte ungläubig den Kopf.
„But there is no need to be afraid Svenja!“
„But I AM afraid! You must take her out of my room!“ (so gut konnte sie nun auch wieder nicht englisch, aber er würde schon verstehen).
Zerknirscht schnappte Mohan sich einen Besen und bewegte sich müde Richtung Bungalow.
Svenja hinterher!
In das Bad folgte sie ihm jedoch nicht!
Es dauerte keine Minute, da kam Mohan heraus geschlurft, den Besen mit den Borsten nach oben gerichtet.
Er schüttelte zuerst den Besen und dann den Kopf.
„ Not dangerous! Only as big as an egg!“ Sprach's und verschwand in der aufgehenden Sonne.
„Der hat ja Nerven! ' Only as big as an egg '! Sehr witzig! Also wenn eine Spinne so gross wie ein Ei ist, dann DARF ICH Angst haben! Frohe Weihnachten“!!
Svenja versuchte sich ihre Gänsehaut abzuschütteln , knipste alle Lichter an, die in der Hütte vorhanden waren und machte sich endlich ihren Kaffee.
Beim Blick in den fast blinden Spiegel sah sie ein blutrot unterlaufenes Auge mit dezent bläulichen Verfärbungen im Nasenbereich. Sie kramte ihren Handspiegel hervor und erblickte bei genauerem Hinsehen minimale schwarze Punkte in ihrem Augenlid!
Die Punkte bewegten sich!
Sollte das wirklich alleine durch den Schlag gekommen sein, als sie gestern die Haustür auftrat?
Svenja konnte sich das beim besten Willen nicht vorstellen.
Woher kamen diese kleinen schwarzen Punkte?
Warum bewegten sie sich?
SIE wird doch nicht...
Aber wer weiß das schon?
In der Dunkelheit der Nacht passieren die unheimlichsten Geschichten!