Ja – oder: Zwei Buchstaben können zu viel sein
‚Du bist doch sowieso nur noch Makulatur‘, das war der Satz, mit dem Otto sie abserviert und zu tiefst verletzt hatte.
Eugenie biss frustriert in den klebrigen Schokoriegel und griff bereits nach der Tüte Chips. Wütend presste sie das knisternde Aluminium zusammen, die Luft in der Tüte bildete eine Blase, die laut poppend dem Druck nachgab und den salzig-fettigen Inhalt in die Freiheit entließ. Eugenie rollte entnervt die Augen, beugte sich vor, um ihre heutigen Grundnahrungsmittel vom Teppich aufzulesen und stopfte sich einige Chips in den Mund. Ein Haar, das zwischen ihren Lippen mit den Kaubewegungen auf und ab wippte, zupfte sie mit ihren dicken Fingern umständlich ab.
„Makulatur – pfff, der spinnt doch, Was sagt Wikipedia darüber?
#Eine Makulatur (lat. maculatura „beflecktes Ding“, von macula „Fleck“) ist nutzlos gewordenes, in der Regel schon bedrucktes Papier#
ha, und da ich kein Papier bin, kann ich auch keine Makulatur sein. ER ist wohl eher Makulatur“, grinste Eugenie.
Seufzend lehnte sich Eugenie zurück und dachte nach.
‚Nun ja‘, dachte sie errötend, ‚das mit dem befleckten Ding passt ja schon ein wenig‘. Kurz erinnerte sie sich an die wenigen erotischen und unerotischen Momente, die sie mit Otto erlebt hatte.
Damals, auf dem Riesenrad, als er sie fragte, ob sie seine „richtige“ Freundin sein wolle, nach der langen Zeit, die sie sich nun schon kannten. Sie erinnerte sich deshalb so genau daran, weil ihm ein wenig Philadelphia-Frischkäse, oder irgendetwas dieser Konsistenz, im Mundwinkel klebte und sie nicht anders konnte, als die weißen Fäden beim Tanz zwischen seinen Lippen zu beobachten.
Eugenie war unsicher, ob sie sich ekeln, oder lieber antworten sollte. Otto blickte so erwartungsvoll und Eugenie dachte daran, dass sie vermutlich sowieso keinen anderen Mann abbekommen würde und antwortete daher leise mit „Ja“.
Zufrieden zog Otto sie nach der Riesenradfahrt an der Hand durch eine Demo, die in der Stadt die Straßen verstopfte. Eugenie schwitzte, es war eng und die Leute auf der Demo waren der Meinung:
>Legalize Gletschereis<
Eugenie verstand nicht, was da auf den Schildern stand. Sie wollte Otto schon fragen, was das Leh-gah-lietze bedeutete, doch er zog sie entschlossen durch die Menschenmenge, so dass sie nur schwer mithalten konnte. Eugenie beobachtete seinen Rücken, den dunklen Streifen auf seinem Hemd, der durch seinen Schweiß getränkt war. Kurz über dem Bund seiner Hose blitzte ein behaarter Spalt auf und sie fragte sich erneut, ob Ekel hier nicht eine gerechtfertigte Emotion wäre.
Otto hielt erst an und ließ sie los, als er vor seinem Haus stand und umständlich in seinen ausgebeulten Hosentaschen nach dem Schlüssel wühlte. Er starrte sie aus seinen kleinen Schweinsäuglein an, stülpte die wulstigen Lippen vor und fuhr mit der Zunge darüber, um sie noch glänzender zu lecken. Er öffnete die Tür und blickte über die Schulter zu Eugenie, während seinen Augenbrauen Aufzug spielten. Eugenie spürte, wie sich ihr Magen hob, schluckte heftig das hinunter, was verzweifelt einen Ausgang suchte und sie versuchte sich an einem zaghaften Lächeln. Es schien gelungen, denn Otto grabschte erneut nach ihrer Hand und zog sie ins Treppenhaus.
Eugenie überlegte, während sie keuchend die Treppen erklomm, ob das wohl ein erotischer Blick war, den Otto da eben aufgesetzt hatte. Sie war ja so unerfahren, wie Männer allgemein sind, wenn sie erotisch werden, wie eine Frau verführt wird und das alles. Sie war nervös, wollte es aber auf sich zukommen lassen. Noch eine Tür, die Otto aufschließen musste, dann schob er sie ungeduldig in seine Wohnung. Eugenie spürte seine warme Hand auf ihrer Schulter und sie gab dem Druck nach, indem sie sich steuern ließ. Im Schlafzimmer angekommen, knipste Otto das Licht an und wies mit dem Zeigefinger auf eine angrenzende Tür.
„Hier ist das Bad, geh dich frischmachen!“
Eugenie nickte und ging ins Bad. Sie schloss die Tür ab und setzte sich erst mal auf den kalten Rand der Badewanne. Ob das alles so richtig war, was sie tat? Sie wusste es nicht. Eugenie stand auf und blickte in den großen Spiegel, der über einem schmutzigen Waschbecken hing. Leicht zerzaust wirkte ihr Spiegelbild. Sie fuhr sich mit der Hand durch das strohige Haar, ließ kaltes Wasser laufen und wiederholte den Vorgang. Jetzt hielten die Haare ein wenig besser. Sie lüpfte die Knopfleiste ihrer Bluse und blickte durch den Ausschnitt auf ihren massigen Vorderbau. Das enge Korsett, das sie extra für den heutigen Tag angelegt hatte, schnitt langsam in ihren beachtlichen Leibesumfang, den auch eine noch so enge Schnürung nicht wirklich verringern konnte.
Egal, heute wollte sie es wagen, heute sollte es sein. Sie zog sich aus, legte ihre Kleider ordentlich zusammen und schob den Stapel auf das kleine Regal in der Ecke. Die Schnürung des Korsetts hatte sich ein wenig gelöst, daher zog sie die langen Bänder fester zusammen, so eng, bis ihr kurzzeitig schwarz vor Augen wurde, dann schob sie die Bänder unter die Hakenleiste, bis sie nicht mehr zu sehen waren. Eugenie fand sich toll und sexy. Sie übersah die Speckröllchen, die unter und über dem Korsett zu Tage traten, da sie auf ihre Wespentaille fixiert war und im Spiegel darauf starrte. Nur dass die Wespe die Ausmaße eines Benjamin Blümchen hatte, aber Eugenie war das egal. Otto wollte sie. Das hatte sie ganz deutlich gespürt. Eugenie beugte sich über das Waschbecken und machte einen Schmollmund, schloss die Lider zum Schlafzimmerblick und hauchte sich einen Kuss zu. Das sollte wohl genügen als Posing. Sie atmete noch einmal tief ein und öffnete die Badezimmertür.
Otto lag bereits auf dem Bett und hatte die Decke über sich gezogen. In etwa der Höhe seiner Körpermitte allerdings schwebte die Decke als ein kleines Zelt über seinem Körper. Als Eugenie darauf blickte, sackte es jedoch rasch zusammen. Otto stöhnte, als er sie betrachtete und murmelte etwas, was Eugenie deutete als: naja, wenn das Licht aus ist, wird es wohl klappen.
„Komm schon her!“ rief Otto und klopfte mit der linken Hand auf die Matratzenseite neben ihm, die rechte Hand schrubbte unter der Decke auf und ab. Eugenie gehorchte und ließ sich neben ihm nieder. Das Bettgestell knarzte bedenklich. Otto dimmte das Licht herunter, was Eugenie gar nicht so unrecht war. Otto zog die Decke zur Seite, rollte neben Eugenie und fummelte sofort zwischen ihren Beinen herum, was Eugenie damit quittierte, dass sie ihre Schenkel klatschend zusammenpresste und seine Hand einklemmte. Otto keuchte kurz auf und stöhnte erregt: „Stell dich nicht so an, du willst es doch auch!“
Er rieb seinen Unterleib an ihrem Oberschenkel, stöhnte kurz auf und schon spürte Eugenie etwas Heißes und Klebriges über ihr Bein laufen.
Langsam öffnete sie wieder ihre Schenkel. Otto drehte sich ächzend zur Seite und schaute an ihr herab und erstarrte.
„Ey, bist du da mit einem Rasenmäher drübergefahren?“ gröhlte Otto und konnte nicht mehr an sich halten vor Lachen.
Eugenie wusste nicht, was er meinte, doch als er auf ihren Schritt deutete, konnte sie es erahnen. Sofort errötete sie, Scham überzog ihren Körper mit flammender Hitze und so schnell es ging, sprang sie aus dem Bett. Sie stemmte die Hände in ihre Wespentaille und starrte wütend auf den johlenden Otto, dessen kleiner Otto als verschrumpeltes Anhängsel unter seiner Wampe im Takt hüpfte.
Absurd, es war alles so absurd.
„Wen willst du denn damit heißmachen? Spielste hier jetzt die Domina, oder was?“
Dann folgte der Abserviersatz. Eugenie kochte vor Wut. Otto keuchte inzwischen atemlos und schlug kichernd auf seine dicken Schenkel, was dem Tanz des kleinen Ottos nicht grade förderlich war. Die schrumpelige Haut hatte sich das mickrige Teilchen inzwischen völlig einverleibt und wirkte auf Eugenie eher wie eine fette Made als, naja, als was eigentlich?
Ohne darüber nachzudenken was sie tat, griff ihre Hand nach der Nachttischlampe mit dem Fuß aus schwarzen Gusseisen und plötzlich war Otto ruhig.
Endlich.
Eugenie ging in aller Ruhe duschen, zog ihre Kleider an, stopfte das verschmierte Korsett in eine Tüte und dachte kurz nach. Sie würde den alten Transporter holen. Der stand noch in der Scheune ihrer Eltern, Gott hab sie selig.
Otto hatte allein in seinem kleinen Haus gewohnt. Nachbarn gab es nicht in direkter Nähe. Niemand würde etwas mitbekommen. Eugenie war unsichtbar für die Menschen, sie fiel einfach nicht auf, so war es schon immer. Sie würde Otto in den Leichensack stopfen, in ihren Transporter zerren und sich um die weitere Entsorgung kümmern.
Es hatte nun mal Vorteile, wenn man Chefin der Pathologie war.
(c) Lys 09/2016