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Young Man - Mature Woman
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Geschichtenspiel Teil 38

****ra Frau
2.916 Beiträge
Ja *g* kurze Kurzgeschichte

So kann ich mich auf jeden Fall noch steigern
*rotwerd*
Meine Triskele
*********_Arte Frau
13.793 Beiträge
Sonntagabend. Statt meinem Ritual zu folgen und mich mit meiner Kuscheldecke auf dem Sofa zu verkriechen und den „Tatort“ zu schauen, vergnüge ich mich mit meiner Vorgesetzten bei einem kurzfristig angesetzten Essen in einem schwäbischen Restaurant. Wie langweilig ist doch das langsam dahin siechende Gespräch. Nein, außer einer Fußballabneigung besitzen wir beide keine Gemeinsamkeiten. Sie liebt Schweinebraten in fetter Sauce mit Klößen und Rotkohl. Ich eher ein blutig gebratenes Steak mit Pommes und selbstgemachter Kräuterbutter.
Meine Vorgesetzte bestellte das Essen für mich mit, als ich kurz auf der Toilette war. Nun stochere ich mit meiner Gabel in irgendetwas unklaren auf meinem Teller. Ist es ein zu Staub gefallener Kloß, der sich in der Tütenbratensauce auflöst? Ich mag es nicht. Die Pampe nicht, den nach Schwein stinkenden Schweinebraten nicht, den nach zu viel Nelken riechenden Rotkohl nicht.
Ich mag meine Vorgesetzte nicht.
Ich flüstere es.
Ich sage es lauter, da sie mich nicht versteht.
„Ich mag diesen Braten nicht.“
„Ich mag keinen Fußball.“
„Ich mag Sie nicht.“
„Ich mag meine Arbeitsstelle nicht. Ich höre auf.“

Der Diskussion stelle ich mich nicht. Ich gehe.
Gehe in die Küche und stelle mich in einem Anfall von Größenwahn breitbeinig vor die Küchenmannschaft. Die Arme auf die Hüften gestützt brülle ich: „Ich will Fleisch. Richtiges Fleisch. Kein von einem Azubi zusammen gepanschten Schweinebraten. Nein, ein blutiges Steak mit Fritten und Kräuterbutter. Wer ist Manns genug und bringt es mir in einer halben Stunde zu unserem Lokalkoloriten?“

Kaum gesagt, drehe ich mich um, schwinge meine Hüften und verlasse die Küche und das Lokal.

Nach 5 Minuten Fußweg komme ich an der alten Burgruine an. Sie ist viel mehr Ruine als Burg. Dennoch bin ich gerne hier. Lehne mich an den alten Baum, der eine Eiche oder auch eine Esche sein kann. Ich betrachte die alten Mauern und würde so gerne einmal auf der höchsten stehen. Meine verdammte Höhenangst lässt das nicht zu.

Ein wenig dämmere ich vor mich hin. Keinen Gedanken verschwende ich an die anstehende Jobsuche. Ich genieße die Ruhe. Die einsetzende Dunkelheit ängstigt mich hier draußen nicht.

Ein leises Rascheln unterbricht meine Ruhe. Vorsichtige, kleine, aber schwere, Schritte kündigen jemanden an.
Dann rieche ich es. Fleisch, Knoblauch und frittiertes. Ungläubig schaue ich hoch und sehe weiß. Viel weiß: Weiße Kochmütze, weißes Kochhemd, weiße Kochhose.
Den Mann darin betrachte ich weniger. Dafür sehe ich sein freches Lächeln, welches sich in einem Gesicht mit vielen Grübchen auftut.

„Na?“
Mehr nicht.
Ein Wort.
Wortlos zeige ich mit meiner rechten Hand auf dem Platz neben mir. Er setzt sich, hebt die Glosche an und ein atemberaubender Duft steigt hoch. Ja, ich gebe es zu: Ich bin verfressen. Ich bin wild auf Fleisch. Auf gebratenes und frisches.
Er zieht Messer und Gabel aus seiner Brusttasche, schneidet mir das Fleisch klein. Wortlos teilen wir uns das köstliche Essen.
Keinen Gedanken verschwende ich an den potenten Privatsekretär meiner ehemaligen Vorgesetzten.
Stattdessen schaue ich dem Mann neben mir in die Augen: „Ich will nur spielen.“
**********Engel Frau
25.297 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
Klasse!!!! *top*
Eine wirklich köstliche Geschichte!
Heiße Luft und heißer Duft
¨Wer Höhenangst sein Eigen nennt, sollte auf Größenwahn verzichten!¨ pflegte Lilly zu sagen, wenn sie einen Klienten am Andreaskreuz aus dem Studiofenster im zwölften Stock schob. Seit Kalle die Idee mit den absenkbaren Schienen gehabt hatte, boomte ihr Geschäft. Keiner der Klienten, der mit ängstlich aufgerissenen Augen in den Himmel starrte, sah den Balkonboden einen Meter unter seinem Rücken. Sinnigerweise haben solche Etablissements wie Lilly eines betrieb, keine durchsichtigen Fenster. So konnte das Lokalkolorit der umliegenden Provinzstädte vor und nach der Sitzung nichts sehen und noch weniger ahnen, dass die vermeintlich atemberaubende Gefahrensituation so gar nicht in schwindelnder Höhe stattfand, sondern nur knapp über dem Grill, auf dem Kalle im Sommer bald jeden Abend leckere Steaks briet.
¨Zum Glück können wir uns Dank deiner genialen Idee zartes Frischfleisch leisten und müssen an keinem der mickrigen Schweinebraten nagen, die da tagsüber drüberhängen.¨
¨Schweinebacken, mein Schatz, Schweinebacken heißt das!¨ Kalle grinste und machte sich eine Pulle Bier auf.
¨Jetzt werden sie nicht frech, Herr Privatsekretär, sonst vergesse ich mich nachher beim Spielen und schieb dich auf den Grill, statt auf die Matratze.¨
¨Ist ja gut, Mädel, alle Unklarheiten beseitigt - jetzt hol mal das Baguette aus der Küche, ich hab Kohldampf!¨
****ra Frau
2.916 Beiträge
Kalle in ungewohntem Milieu *grins*
******s23 Frau
12.703 Beiträge
-Lokalkolorit-
Der Grand Canyon – etwas, das man gesehen haben muss, um die Faszination und Ausstrahlung dieses naturgewaltigen Ortes zu verstehen.

Zahlreiche Filme spielen in dieser atemberaubenden Landschaft, die jede künstliche Kulisse vor Neid erblassen lässt. Der Canyon erstreckt sich über eine Fläche von 450 km, und schaut man über den Südrand in die unglaubliche Tiefe, windet sich der Colorado River wie eine Schlange zwischen den Felsen. Die ehemalige Heimat vieler Indianerstämme, unter anderem der Anasazi, Hopi und Navajo, lässt auch die Geschichte der USA sehr greifbar werden.
Das nächstgelegene kleine Städtchen Flagstaff, das vor allem in Bikerkreisen gut bekannt ist, kleidet sich heute in Girlanden und Fähnchen. Ein prominenter Besucher wird erwartet.

Unklar ist allerdings, ob er nur durchfährt oder einen Stopp einlegt. Vorsichtshalber richtet der Privatsekretär des Townmajors ein typisches Lokal stilecht her. Die schon bestehende Einrichtung wird noch um einige leere Whiskeyfässer ergänzt, auf denen das Buffet dekoriert werden soll. Schweinebraten, Holzfällersteaks und anderes Fleisch sollen mit entsprechenden Beilagen angeboten werden. Das Kuriose ist, dass anscheinend niemand genau weiß, wer der Besucher eigentlich ist. Lediglich der kurze Hinweis: Biker – mehr nicht. Rennfahrer oder Schauspieler, wird vermutet, aber alles Mutmaßen hilft nichts.

Es ist gerade um die Mittagszeit und noch ruhiger als sonst in der verschlafenen Kleinstadt, die höchstens von Touristen als Sehenswürdigkeit aufgesucht wird, als in der Ferne ein Brummen und Knattern laut wird. Eine immens große Gruppe Biker nähert sich auf der alten Route 66, die quer durch Flagstaff führt. Nicht wenige Anwohner bleiben stehen, um sich das zu erwartende Spektakel anzuschauen.

Der Geräuschkulisse nach zu urteilen müssen es mehrere hundert Bikes sein.
Noch bevor sie die eindeutigen Embleme auf den Westen, sowie die 1% Tattoos der Höllenengel erkennen können, schwant den Zuschauern, was dort auf sie zurollt. Welcher Größenwahnsinnige hat nun daraus den Besuch eines Prominenten gemacht, fragt sich die "Stadtobrigkeit" verstört.

Diese Frage ist jedoch schnell beantwortet, als die Maschinen der Hells Angels auf der Hauptstraße zum Stehen kommen. An der Spitze eine schwarze Victory, deren Fahrer huldvoll in Richtung der Delegation nickt. Die blonde Sozia steigt ab, geht auf diese zu und informiert die Herren, dass sie erst auf dem Rückweg am Abend einkehren werden. Sie setzt noch amüsiert hinzu, dass sie dann nur etwa dreißig Leute sein werden, als sie die entsetzten Blicke bemerkt. Sonny Barger wird hier seinen 77ten Geburtstag nur mit den engsten Freunden feiern. Den Rest des Tages werden sie am und über dem Grand Canyon verbringen, denn Sonny hat zu seinem Ehrentag die Hubschrauber der Papillon Airlines gechartert, um mit allen, die frei von Höhenangst sind, einen besonderen Tag zu zelebrieren.
Als Ikone der Angels ist er es seinen Anhängern schuldig, diesen Tag auf ganz eigene Art zu begehen.
Alle, die nur irgendwie die Möglichkeit hatten, sind seinem Ruf gefolgt, sich an seinem Anwesen in Phönix-Arizona zu versammeln und gemeinsam zu fahren. Ein denkwürdiger Tag, und niemand darf den Frieden stören, denn das ist die ausdrückliche Anweisung des Anführers und Mitbegründers Sonny. Eine lebende Legende, und von allen verehrt.

Damaris 13/06/16
Blick über den Grand Canyon
******nyx Frau
1.322 Beiträge
Die Pfeife
Die Vorgaben für dieses Spiel mit Worten sind folgende
8 Begriffe: Privatsekretär, Höhenangst, Größenwahn, spielen, atemberaubend, Lokalkolorit, unklar und?
*schwein* *schwein* braten ,-)



Die Pfeife

Der Privatsekretär von Jorge Bergoglio, besser bekannt als Bischof von Rom und manchen auch als Papst Franziskus, der jedoch „Jorge” genannt werden will, denn er hasst den Pomp wie den Größenwahn zu dem das Amt gemeinhin verführt, hastete, ohne das Lokalkolorit aus Devotionalienhändlern und japanischen Touristen auch nur eines Blickes zu würdigen, in die Erzbasilika San Giovanni in Laterano und direkt an die Epistelorgel, zog alle 46 Register und begann zu spielen.

Er legte seine Hände auf zwei Drittel der drei Manuale, hieb eine atemberaubende Coloratur in die Tasten und jagte das Ding in Richtung der maximalen 8000 Hertz, die immerhin schon den halben Weg zum Ultraschall darstellen. Wie üblich brach ihm der Schweiß aus und seine Tonhöhenangst schlug bei der vorletzten der zwei Pfeifen, die nur wenige Zentimeter lang sind, voll zu, und ein gellend-jämmerlicher Ton schoß durch den Chor und ihm ins Gedärm, dass seine Magennerven wie elektrisiert Kapriolen schlugen und der halb verdaute Arrosto di Maiale Gefahr lief, sich ebenfalls in die Höhe zu schwingen und eines der Manuale mit diesem gut nachgegarten Schweinebraten unklarer Provenienz – aber immerhin mit reichlich Thymian – zu verunzieren.
**********henke Mann
9.638 Beiträge
Das kleine Lämpchen über PRIVATSEKRETÄR hatte kurz geglimmt. Missmutig faltete ich die Serviette zusammen, warf der dicken Köchin einen zweideutigen Blick zu und raunte: „Stell mir den Teller bitte warm, ich esse nachher weiter.“

„Mylord?“

„Peter, bitte holen sie die Erstausgabe von, von, von, na sie wissen schon aus der Bibliothek!“

„Selbstverständlich, Sir! Gern, Sir!“
Wann würde sich Sir Thomas Æðelstan, Earl of Gladwyn and Chadwyk endlich merken, dass ich HÖHENANGST habe und jedes Mal, wenn ich zur obersten Buchreihe in der Bibliothek steigen musste, tausend Tode starb?
Nun gut, sein altadliger GRÖßENWAHN stellte sich solche Fragen nicht, er wollte nur SPIELEN und die historischen Schinken, die er mit Hilfe seiner riesigen Bibliothek verfasste, waren alles andere als ATEMBERAUBEND. Nur weil er einen Verleger kannte, der es immer wieder schaffte, seine 1000 Seiten starken Mörderfolianten zumindest zu den Selbstkosten irgendwo abzusetzen, hielt sich Sir Thomas für einen begnadeten Schriftsteller. Seinen Romanen fehlte jedes LOKALKOLORIT, die Helden sprachen hölzern, durch die Handlung zog sich kein roter Faden, sondern ein grüner Strick, alles war UNKLAR und unausgegoren.

Endlich hatte ich seine Erstausgabe gefunden. Vorsichtig stieg ich die alte, ausgetretene Bibliotheksleiter nach unten. Starr schaute ich in die Buchreihen vor mir, damit mir nicht schwindlig würde, wenn ich auf meine Füße schaute. Ich freute mich auf den SCHWEINEBRATEN und die Köchin, ich stellte mir gerade vor, wie ich Ihr den Rock schürzen...

Eine Leiterstrebe knackte, und das letzte, was ich sah, war ein Buchrücken mit den lateinischen Majuskeln: OVID – AMORES...

[Hier kann dann die andere Geschichte ansetzen *zwinker* ]
******s23 Frau
12.703 Beiträge
Herrlich ...
*bravo* *ggg*
Interpretationssache
Wie jedes Jahr um diese Zeit fand das große, mehrtägige Weinfest statt. Es war eine gute Gelegenheit für Fahrgeschäfte und Standbetreiber, den Vergnügungssüchtigen und Eltern quengelnder Kinder tief in die Tasche zu greifen.
Aber auch Größen aus der lokalen Politik und ansässige Geschäftsleute trafen sich hier auf ein Glas Wein, um nützliche Beziehungen zu knüpfen oder zu pflegen.
Auch Ulf Sonders, der Chef der Bekleidungsfirma Samt&Sonders, war mit seinem Privatsekretär Eric Steiner unter den Gästen.

Eigentlich war heute Sonders´ 50. Geburtstag, doch er hatte den Rummel um seine Person noch nie besonders leiden können und nutzte den Besuch des Weinfestes, um sich vor einer Hoch-soll-er-leben-Zeremonie zu drücken.

Mühsam hatten sie sich durch die Menschenmassen geschoben und saßen nun im Weinzelt bei einem guten Spätburgunder, jeder einen dampfenden Teller Schweinebraten vor sich.

Essen und Wein waren ausgezeichnet, doch Sonders´ Laune hielt sich in Grenzen. Er hatte gehofft den Bürgermeister zu treffen, um ihm die Veranstaltung einer Modenschau seiner neuesten Kollektion schmackhaft zu machen, doch der hatte sich bis jetzt nicht blicken lassen.

Stattdessen langweilte ihn Steiner mit seinem Bericht über sein monatelanges Training im Flugsimulator, womit er seine Höhenangst erfolgreich überwunden hatte.
´Nicht nur, dass er in der Zeit die Arbeit hat schleifen lassen – er erwartet auch noch, dass ich mich darüber freue!` dachte Sonders missmutig, und schaufelte schweigend seinen Teller leer.

Doch Steiner hielt es nicht davon ab, euphorisch seinen Bericht zu Ende zu führen.
„Es hat tatsächlich geholfen, Chef, ich hätte es selbst nicht für möglich gehalten! Am liebsten würde ich es ihnen beweisen!“

Sonders grummelte etwas Unverständliches vor sich hin und ließ zum wiederholten Male suchend seinen Blick durch das Zelt schweifen.
„Kommen sie schon, Chef... Der Bürgermeister lässt sich bestimmt erst gegen Abend hier blicken, bis dahin können wir uns die Zeit vertreiben. Ich wollte schon immer mal aufs Riesenrad!“ Voller Elan war er aufgestanden, und zappelte ungeduldig wie ein kleiner Junge neben Sonders´ Platz.
„Na schön...“ seufzte Sonders, begrub die Hoffnung, noch vor dem Abend nach Hause zu kommen und folgte Steiner nach draußen.

Am Riesenrad herrschte Hochbetrieb. Nach einer gefühlten Viertelstunde Wartezeit saßen sich die beiden in der leicht schwankenden Gondel gegenüber. In Steiners Gesicht zeichnete sich eine gewisse Anspannung ab. ´Tja,` dachte Sonders, ´da muss er jetzt durch!` und lehnte sich entspannt zurück.

Langsam setzte sich das Rad in Bewegung. Der Lärm des Festplatzes unter ihnen schwoll ab, und das Treiben der Menschen glich von oben einem einzigen Gewusel.

Mit zunehmender Höhe konnte man mehr und mehr die einmalige Aussicht genießen. Das Lokalkolorit der Mohnblumenfelder, die sich auf südlicher Seite erstreckten, war einfach atemberaubend. Der Ausblick erinnerte Ulf Sonders an seine Jugend, wie er seine Frau Mareike kennen gelernt hatte und mit ihr durch die Felder gestreift war – jung, frisch verliebt und voller Pläne. Er hatte ihre vollen Lippen vor Augen, die mit dem roten Mohn um die Wette glühten...

Die Stimme seines Privatsekretärs holte ihn aus seinen melancholischen Erinnerungen zurück in die Gondel. „Chef... Es gibt da noch etwas, was ich loswerden muss.“

Noch mehr Abenteuerlichkeiten aus dem Flugsimulator? Sonders atmete tief ein und aus in Erwartung weiterer technischer Ausführungen.

„Mareike... also ihre Frau... und ich...“ Eine kalte Hand schien nach Ulf Sonders´ Herz zu greifen. „Was ist mit meiner Frau?“ knurrte er, obwohl es ihm im gleichen Moment klar war.

Steiner fühlte sich sichtlich unwohl und wurde kleinlaut. „Es ist... also... Mareike und ich haben ein...“
„Nenn meine Frau nicht Mareike!“ zischte Sonders. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen, seine Halsschlagader pochte. „Mir ist völlig unklar, was sie an einem Schwächling wie dir finden könnte! Glaubst wohl, nur weil du deine Höhenangst besiegt hast, könntest du dem Größenwahn verfallen und deinem Chef die Frau ausspannen?“ Ein höhnisches Lachen drang aus seinem Mund, kleine Schweißperlen schimmerten auf seiner Stirn, und in seinem Kopf dröhnte es. Die Bilder, die in seinem Geiste auftauchten, raubten ihm den Verstand.

„Du wirst keine Rolle mehr im Leben meiner Frau spielen, dafür werde ich sorgen.“ Sonders hatte sich erhoben, was die Gondel hin und her schwanken ließ.
Nun wurde Steiner kreidebleich. „Aber Chef........“ Mit angstgeweiteten Augen versuchte er sich tiefer in den Sitz zu drücken, doch es gelang ihm nicht, er rutschte nur an der Rückwand nach oben. Stoßweise ging sein Atem, und er klammerte sich am Rand der Sitzfläche fest, bis seine Knöchel weiß hervortraten.

Sonders war nun dicht bei ihm und blickte auf ihn herab. „Du hinterhältige Ratte.“ Abscheu und Verachtung funkelte in den Augen seines Chefs, und er verzog sein Gesicht zu einer angewiderten Grimasse. Die Lippen des Sekretärs bewegten sich zitternd, doch er brachte kein Wort hervor. Er war noch ein Stück nach oben gerutscht und spürte, wie der obere Rand der Rückenlehne in seine Nieren drückte.

Längst hatte er sich seinen fatalen Fehler eingestanden – er hätte auf eine andere Gelegenheit warten sollen, an einem anderen Ort. Doch diese Erkenntnis nutzte ihm in diesem Augenblick nichts.

Eine kräftige Hand packte ihn am Kragen und zog ihn zurück auf den Sitz.
„Reiß dich gefälligst zusammen“, raunte Sonders dicht an seinem Ohr, „die Fahrt ist zu Ende.“

Tatsächlich hatte die Gondel wieder Bodennähe erreicht. Steiner ließ sich von seinem Boss unterhaken und stolperte mit weichen Knien hinter ihm aus der kleinen Kabine.

Nachdem die beiden sich einen Weg durch die wartenden nächsten Fahrgäste gebahnt hatten, entdeckte Ulf Sonders leicht irritiert eine Menschentraube vor dem Kassenhäuschen.
Er erkannte den Bürgermeister, seine Chefdesignerin und andere aus seinem Unternehmen, und mittendrin seine strahlende Frau.

„Ich habe versucht es ihnen zu erklären...“ krächzte Steiner neben ihm, als Mareike anstimmte und alle einfielen:

„Happy Birthday to you...“
*********ynter Frau
9.559 Beiträge
Ich hatte schon richtig Gänsehaut...
was für ein Krimi! Und dann doch "nur" eine Geburtstagsüberraschung *haumichwech*

Gelungen!
It´s me!
*********ld63 Frau
8.139 Beiträge
Superspannend!
Und ganz toll geschrieben, liebe http://www.joyclub.de/my/2845235.oralia94.html! *bravo*

*blume* Into *g*
**********Engel Frau
25.297 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
Endlich fand ich ein wenig Zeit, hier alles nachzulesen. Ihr seid echt irre.
Wenn ich hier abends immer so viel lesen muss, komme ich nie mehr selbst dazu, eine Geschichte zu schreiben. *panik*

Aber macht nur weiter so, ich komme dann halt immer ein paar Tage hinterher mit meinen Lobeshymnen. *ggg*

Das sind ganz tolle Geschichten!

olove's Ausflug zum guten alten Kalle - köstlich! Ich musste herzhaft lachen und sah die Szenen bildlich vor mir.

Damaris ... mmmhhh ... das macht riesengroße Sehnsucht. Auch einem Nicht-Biker. Eine wunderschöne Geschichte.

anima - Du bekommst von mir den Preis des Tages für die längsten verschachtelten Sätze! *lol*

Kamelienschenke - Kurz und knackig, hat Spaß gemacht! Der "grüne Strick" ist super! Ich bin gespannt auf die andere Geschichte.

oralia - Ich hab's mir gedacht, ich hab's mir gedacht! Ha! So ist das, wenn die Chefs nicht richtig zuhören und gleich nach den ersten Worten schon hyperventilieren. Erst gestern sagte ich zu meinem Chef, "das ist immer das gleiche Problem, Du hörst mir nicht zu!" *g*
Tolle Geschichte!

Ähm ... schrieb hier nicht erst kürzlich jemand (zu olove rüberschiele ...), hier in der Gruppe wäre es zu ruhig geworden? Siehste - geht doch! *ggg*
*********ynter Frau
9.559 Beiträge
16 Wörter
An einem Samstagmorgen gegen 6:00 Uhr schlägt Sina Nissen gähnend die Zeitung auf. Sie hat sich extra ihren Wecker gestellt um den Zeitungsboten in Negligee und seidigem Kimono abzufangen. Doch gilt ihre Begierde nicht dem Mann selbst sondern ausschließlich dem, was er bei sich hat – der Wochenendausgabe mit dem Immobilienteil. Schon lange ist sie auf der Suche nach einer anderen Wohnung.
Ihr derzeitiges Refugium liegt in einem unsanierten und hässlichen Plattenbau in einem Frankfurter Vorort. Ihr Traum ist aber das Westend mit seinem herrlichen Lokalkolorit aus Jugendstilvillen, Kanzleien, Botschaften, kleine erlesene Restaurants, Männer in teuren Anzügen und hoher Sportwagendichte – kurz: gehobenes Niveau in allem. Also kein lautes Kauderwelsch und kein Schweinebraten- oder Kohlgeruch in aller Herrgottsfrühe, der durch das zugige Treppenhaus unter dem Türspalt in ihr Zuhause zieht, wenn sie nach durchtanzter Nacht gerade erst beim ersten Kaffee sitzt und ihr eh noch von den Alkoholnachwirkungen schlecht ist.

Eine Wohnung im Westend! Gute Lage und sofort frei!

Das allein ist schon wie ein Treffer im Lotto. Sofort wählt sie die Handynummer, die natürlich bereits dauerbesetzt ist. Irgendwann gegen 10:00 Uhr kommt sie durch und ergattert den für heute letzten Besichtigungstermin. Taumelig vor Glück rafft sie alle ihre vorbereiteten Unterlagen zusammen, zieht ihr sündhaft teures Chanel-Kostüm mit den Manolos an und macht sich auf den Weg. Natürlich mit der S-Bahn, weil um diese Zeit bereits dichter Stau in der Innenstadt herrscht und es sowieso keine freien Parkplätze mehr gibt, vor allem nicht im Westend.
Die Fahrt ist mehr als unangenehm, denn sie muss stehen. Irgendwo in dem Abteil stinkt es zum Gotterbarmen und alle Insassen würgen trotz des geklappten Fensters. Nun ist ihr noch übler. Blass ihr Gesicht unter der Schminke. Hochfrequent schreiende Kinder, genervte Muttis, Knoblauch- und Bierdünste wabern durch die dicke Luft. Es ist die Hölle. Das alles wäre vorbei, wenn es mit der Wohnung klappen würde.

Endlich angekommen, stehen bereits gefühlte Hundert Leute vor dem Eingang. Die üblichen Scharmützel beginnen, Geschubse, Gedränge, sie hält sich abseits. Der Makler erscheint, zu spät, aber er kann sich das leisten! Nichtsdestotrotz wird er wie der Messias empfangen. Noch mehr Gedrängel als er die Türe aufschließt, das erste Handgemenge, bei dem der ein oder andere Eckzahn auf der Strecke bleibt. Die ersten fünfzig schieben sich durch, sie ist beim nächsten Schwung dabei. Der Schnitt ist wunderbar, allerdings sind die Wände abwechselnd in Walderdbeer-Rot oder Purple-Rain-Lila gehalten, sie schüttelt es und denkt an die vielen Eimer weißen Farbe, die sie brauchen wird, wenn – ja wenn es klappt. Oje – aber für die Bude würde sie morden!
Die Aussicht vom kleinen Balkon mit der Fensterfront in Richtung auf die verspiegelten Zwillingstürme einer großen deutschen Bank ist atemberaubend. Höhenangst braucht sie auch keine zu haben, die Wohnung liegt nur im 4. Stock. Der Mietpreis ist grenzwertig, aber es sollte machbar sein.

Sie fragt sich, wie sich die vielen Studentenköppe das hier leisten könnten, oder die eine oder andere Familie mit mehreren Kindern. Die sind eh nicht in der engeren Wahl, das erkennt sie mit –mittlerweile - geschultem Blick. Allerdings gibt es auch ernstzunehmende Konkurrenz. Eine verkappte Madame Winterthur-Imitation in Armani zum Beispiel oder der auffällig braungebrannte Apollo, von Beruf Sohn, mit Rolex-Uhr am Handgelenk und gebleachtem Lächeln.
Wie kann sie den Makler nur davon überzeugen, dass sie sein Fleisch gewordener Mietertraum ist?

Es grenzt nicht an Größenwahn, dass sie sich gute Chancen ausrechnet. Sie ist eine gutbezahlte Privatsekretärin, Single und sowohl kinder- als auch katzenlos. Und - sie erkennt ihren radebrechenden Vorteil – der Makler sucht Augenkontakt zu ihr. Seine Absichten sind ihr nicht unklar und sie wird ihre Karten Attraktivität, Charme, solvent und echt wirkendes Interesse an ihm gnadenlos ausspielen. Sie lächelt pure Verführung und dem Makler steht ein feiner Schweißfilm auf der Stirn.
Ihre Unterlagen von der Schufa-Mitteilung über Gehaltsnachweis bis hin zur Bankauskunft sind fein säuberlich geordnet, keine Eselsohren oder Kaffeeflecke.

"Perfekt!", haucht er, weil sie ihm Arbeit erspart und sie ist sich schon sehr sicher. Triumph liegt in ihrem Blick Es ist ja nicht so, dass sie hier ihre Haut für die begehrte Wohnung zu Markte tröge. Naja – irgendwie schon. Was soll`s? Sie hat es fast geschafft, des Maklers Hand streift wie zufällig ihren Arm, sein Blick sagt: Ich will dich!
Vorerst ist das Gespräch beendet. Die letzten beiden Bewerber, sie und der Makler stehen unten. „Sie hören dann von mir“, lässt er verlauten und kaum hat sie sich zum Gehen gewandt, klingelt ihr Handy. Es ist der Makler, der sie zu einem Glas Champagner einladen möchte.

Ob sie das denn immer so machen würde? Fragt er sie später ein wenig misstrauisch als sie verschwitzt und mit verwischter Wimperntusche in seinem Bett liegt. Totaler Körpereinsatz, in der Absicht, sich einen Vorteil zu verschaffen? Entrüstet und beleidigt verneint sie und will auf der Stelle gehen. Er hält sie zurück bevor sie die Tür erreicht. Ihr Herz hüpft. Ja! Geschafft! Ich habe die Wohnung! Denkt sie.
Noch mehr als sie beschwingt und wieder makellos am nächsten Morgen die elegante Wohnung des Maklers verlässt.

Doch leider leider – der Anne Winterthur-Verschnitt wird den Zuschlag erhalten, sie wirkt sehr viel seriöser, erklärt er ihr am Telefon. Ihre Enttäuschung überspielend bittet sie um ein weiteres Treffen, sie hätte noch ein As im Ärmel haucht sie. Der Makler ist nicht so recht überzeugt aber sie bleibt hartnäckig. Nun gut, denkt er sich, noch eine kleine Nummer mit ihr? Was kann das schon schaden!

Sorgfältig verwischt sie ihre Fingerabdrücke nachdem sie die Wohnungspapiere zu ihren Gunsten geändert und ausgedruckt hat. Das Date mit ihr löscht sie aus seinem Handy. Seine noch warme Leiche liegt im Whirlpool, in den sie ihn gelockt hat. Die Überdosis KO-Tropfen im Wein hat er nicht geschmeckt und langsam war er immer tiefer im warmen Wasser gesunken, bis sein Kopf ganz untergetaucht war. Ein tragischer Unfall! Sein Partner wird die Papiere finden und sie wird ihre Wohnung bekommen. So ihr Plan.
*
Sie sitzt in ihrer neuen Bleibe. Mit der S-Bahn muss sie nie mehr fahren, auch keine schreienden Kinder mehr ertragen. Nicht mal renovieren musste sie. Der Duft von Schweinebraten und Sauerkraut zieht unter der Türritze zu ihr hinein. Sie erschaudert.
„Gefangene Nr. 531 Essen fassen!“, lautet die knappe Anweisung vor ihrer Einzelzelle. Tja, den perfekten Mord gibt es nicht, wie sie jetzt weiß. Verdammt!
*****002 Paar
1.330 Beiträge
So schnell kann's gehen!
Westend und Happyend
gegen
Knast und Einzelhaft.

was für eine erfrischende und originelle "Verarbeitung" der
16 Wörter! *bravo*
It´s me!
*********ld63 Frau
8.139 Beiträge
Und die Moral von der Geschicht...
... Knattern mit dem Makler geht gar nicht!! *nono*

Ich hab mich köstlich amüsiert, liebe Nina_de_Wynter! *lol*
Danke dafür! *bravo*

Wieder einmal furios geschrieben!!
*roseschenk*
Into
*********nd_69 Frau
7.368 Beiträge
*bravo* ... und in der nächsten Geschichte wollen wir dann lesen, wie der Mord aufgedeckt wurde! *bravo*
********chen Frau
353 Beiträge
...?
...neue 8? Oder habe ich ne Regeländerung verpennt (was sehr gut möglich ist)... *zwinker*

edit weil mir schon per PN der Wink mit dem Zaunpfahl überbracht wurde...dann werde ich mich mal an den Schweinebraten machen!
**********Engel Frau
25.297 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
*ggg*
******nyx Frau
1.322 Beiträge
Extrablatt!
Die Vorgaben für dieses Spiel mit Worten sind (noch ,-) die folgenden 8 Begriffe: Privatsekretär, Höhenangst, Größenwahn, spielen, atemberaubend, Lokalkolorit, unklar und Schweinebraten.

Diesmal zappelten sie sich zurecht zu einer Erinnerung an einen bemerkenswerten Menschen und Meister des treffenden Wortes.



Extrablatt!

Er war erstaunlich mild als der „rasende Reporter” Egon Erwin Kisch in einem für seinen Ruf erstaunlichen Schneckentempo über die Canal Street in Lower Manhattan schlenderte. Es war der 30. Dezember 1939 und er hatte tagelang auf Ellis Island auf sein Durchreisevisum gewartet. Vor zwei Tagen hatte er es endlich bekommen und hatte nun erstmal Luft.

Aus der Orchard Street strömten Juden mit ihren hohen Hüten und langen Gehröcken und traten ihm wie eine dunkle Phalanx entgegen, die Korkenzieherlocken an ihren Schläfen hüpften und schienen fast höhnisch zu rufen: Zeit ist Geld! Kisch dagegen verlangsamte seinen Schritt sogar noch und hob sein Gesicht in die Wärme der Wintersonne.

Die Ungewissheit seiner Zukunft setzte ihm zu, aber viel mehr noch die Tatsache, dass ihn keine Nachricht erreichte und völlig unklar war, ob seiner Frau die Flucht nach Spanien inzwischen gelungen war und sie eine Überfahrt und Einreisegenehmigung bekäme. Im Gegensatz zu vielen anderen, unterschätzte Kisch Hitlers Größenwahn keineswegs, und er rechnete nicht erst seit dem Überfall auf Polen mit einer zügigen Verschlimmerung der Lage in Europa. Doch nun sog er den Duft der Freiheit ein, nahm einen tiefen Atemzug, lächelte und dachte: „Wie süßlich sie riecht... Nach Benzin und dem Hefeteig der Bagels.”

1928 hatte er schon einmal versucht, ein Visum für die USA zu bekommen, aber selbst der Ruhm, den er sich als Berichterstatter des Ersten Weltkrieges und als investigativer Journalist während der Weimarer Republik erworben hatte, reichten nicht aus, ihm ein Visum zuzugestehen, ganz im Gegenteil. Ihm war als sozialkritischer Geist und Mitglied der Kommunistischen Partei nichts anderes übrig geblieben, als seine erste mehrmonatige Reise kreuz und quer durch die USA unter dem Decknamen Dr. Becker zu unternehmen.

Als Kisch den Erfahrungsbericht dieser Reise 1930 in Berlin als Reportageband veröffentlichte, gab er ihm nicht ohne Grund den ironischen Titel „Paradies Amerika”, denn es war eine Bestandsaufnahme, die die Widersprüchlichkeit der USA aufzeigte: einerseits großartig, visionär, ein Land mit sprichwörtlich „unbegrenzten Möglichkeiten”, aber andererseits eben auch geprägt von einem zum Teil erschütternden sozialen Gefälle und Repression.Daran dachte Kisch als er die Canal Street überquerte, die Hände in die Taschen bohrte und die Papiere fühlte, die in seiner viel zu dünnen Jacke steckten.

Die „Canal” markierte das südliche Ende von Little Italy und des jüdischen Viertels an der Lower East Side rund um die Orchard Street. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite begann schon Chinatown und Kisch betrat nun den Bürgersteig, an dem dicht an dicht die kleinen Läden chinesischer Händler die Straße säumten. Er traute seinen Augen kaum... Ein so abrupter Wechsel des Lokalkolorits und das Aufeinanderprallen gleich dreier Kulturen, die gegensätzlicher kaum hätten sein können! „Atemberaubend, diese Stadt.” dachte er. „Zum Anbeten in ihrer Vielfalt und hassenswert ob ihrer Gleichgültigkeit dem Einzelnen gegenüber.” Er pfiff leise vor sich hin und es war ihm nicht bewußt, dass es die Melodie von Bing Crosbys „Pennies from Heaven” war.

Schon nach wenigen Schritten tauchte er ein in eine Wolke unverständlicher Sprachfetzen und seltsamer Gerüche, wich dem hektischen Treiben und einem Mann mit einer Sackkarre voller Spitzkohl aus und stieß mit dem Kopf gegen einen roten Lampion mit einem schwarzen Drachen. Er hielt inne und betrachtete den Drachen für einen Moment irritert, denn er hatte etwas Martialisches.

Er erinnerte ihn an eine agitatorisch meisterliche Karikatur einer Flak, eine sogenannte Acht-Achter, die der Künstler und Karikaturist George Grosz, der wie er in Berlin auch für die Tageszeitung „Die rote Fahne” gearbeitet hatte, als eine der letzten für die Zeitung zeichnete, bevor sie 1933 verboten wurde und Kisch Deutschland Hals über Kopf verlassen musste. Kisch dachte voller Wehmut an seine verlorene geistige Heimat und an Grosz.

Wie oft hatte er den Freund komplett betrunken im „Tattersall” am S-Bahn-Bogen Savignyplatz in Charlottenburg aufgesammelt und quer über den Platz zur Nr. 5 und in seine Koje geschleift! Er mochte den unbestechlichen Helden an der Tuschefeder und vermisste ihn. Seine Glubschaugen, die so neugierig wie unstet umherirrten ebenso wie seine graue Hose, an der die goldene Uhrkette meist genauso verdreht war wie er selbst.

Kisch kam ein wenig aus dem Tritt. Einige Frauen stritten sich lautstark trotz ihrer piepshellen Stimmen und er kam weder durch noch vorbei an den aufgeregten, die mit ihren schwarzen Schöpfen über Kitteln mit exotischen Mustern, den ohnehin geringen verbliebenen Raum auf dem Bürgersteig blockierten. Plötzlich stieg ihm ein vertrauter Geruch in die Nase... Es roch gar köstlich nach Gebratenem. Kisch sah Lottes Gesicht vor sich, wie sie an ihrem letzten gemeinsamen Sonntag am Küchentisch in ihrer Wohnung am Savigny Platz 11 satt und glücklich zusammen saßen und sein Blick wurde dunkel wie die Soße zum Schweinsbraten, den Lotte deftig zu würzen pflegte und den er so liebte.

Er folgte seiner Nase, duckte sich, betrat das schmale Lokal und warf einen Blick in die Garküche. Er hatte noch Zeit. Dem Verleger Knopf hatte er sich erst in über einer Stunde angekündigt und er würde nur wenige Minuten brauchen, um zu Fuss dorthin zu gelangen.

Kisch stellte sich an, es war viel los um diese Uhrzeit, und als er schließlich an der Reihe war, deutete er auf ein Gericht, das vom Holzspatel des Kochs mit einer fast akrobatischen Behendheit beständig in Bewegung gehalten und daran gehindert wurde, über den Rand des eisernen Woks der Fliehkraft die Ehre zu erweisen.

Mit einer dampfenden Schale in der Hand, sah Kisch sich hilfesuchend um, die Tischboxen des schlauchförmigen Gastraums waren jedoch alle besetzt. Ein hutzeliger Chinese im Blaumann winkte mit knapper Geste, rutschte auch schon ein Stück auf der Bank nach innen und bedeutete ihm, Platz zu nehmen. Sofort wurden von einer zierlichen Gestalt die Schüsseln abgeräumt, die sich am Tischende stapelten, denn in der Mitte war ebenfalls kein Platz: dort war ein Mah-Jongg in vollem Gange, wie eigentlich auf jedem Tisch.

Kisch aß mit Heißhunger, trank ab und an einen Schluck Tee und schaute fasziniert zu. Vier der sieben Chinesen an seinem Tisch spielten konzentriert und mit ganzem Einsatz: ihre Hände flogen nur so durch die Luft, sie riefen Werte und Bilder auf und warfen reihum die zwei weißen Würfel mit der roten Eins und der roten Vier. Die anderen drei gestikulierten und kommentierten fleißig mit und schienen ebenfalls ganz bei der Sache zu sein.

Auf dem Tisch waren 152 flache, etwa bonbongroße Quader im Spiel, die zum größten Teil zu einer Miniaturmauer aufgeschichtet waren, die ein Quadrat aus 17 Quadern je Seite und zwei in der Höhe auf dem Tisch bildeten. Kisch wusste, dass dieses Quadrat den Himmel symbolisierte und jeder der vier Spieler einen der Winde. Ostwind war gerade am Zug und Westwind rief etwas dazwischen, was einige Umschichtungen am „lebenden” Ende der Mauer zur Folge hatte.

Kisch kannte das undurchschaubare Phänomen bereits, denn auf seiner Reportagereise durch China war ihm diese traditionelle Leidenschaft schon auf Schritt und Tritt begegnet und auch hier, auf der Lower Eastside, zog sie ihn wiederum in seinen Bann. Er hatte gelesen, dass in New York erst vor zwei Jahren, 1937, die „National Mah-Jongg League” gegründet wurde, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, einheitliche Regeln für die allerorts stattfindenden – und nicht ganz unchaotischen – Turniere einzuführen.

Kisch nahm einen Schluck und sein Blick fiel auf einen der zweischichtigen Spielsteine, der direkt vor ihm lag. Er bewunderte die feine Arbeit aus bemaltem Elfenbein mit zarter Gravur auf der Deckseite und der aus Bambus gefertigten Unterseite, die nicht etwa einfach verklebt, sondern ganz grazil verzinkt war. Kischs Gedanken schweiften ab und er sah die geschickten Hände seiner Frau vor sich. Wo sie wohl war? Er hoffte inbrünstig, dass Lotte nichts geschehen war und zwang sich, die aufsteigende Angst mit einem letzten Rest des gebratenen Huhns hinunterzuschlucken.

Wie geblendet, trat er wenig später ins helle Tageslicht hinaus und brauchte einen Moment sich zu orientieren. Er wandte sich schließlich nach rechts und folgte der Canal Street bis zum Ende und zu ihrer Einmündung in den East Broadway. Hier musste es sein.

Er und Lotte hatten das Verleger-Ehepaar Alfred Knopf und Blanche Wolf Knopf bereits Anfang der 30er Jahre in Berlin getroffen und sie hatten einen Vertrag unterzeichnet, der die Herausgabe von Kischs Autobiografie „Schwimmend im Tintenstrom” durch Knopf in New York besiegelte. Kisch hoffte, dass es nun endlich, nach all den Jahren der Verzögerung durch seine Flucht und die wechselnden Stationen des Exils innerhalb Europas, dazu kam, dass „Crawling in the Inky River” gedruckt werden würde, bevor seine begrenzte Aufenthaltsgenehmigung für die USA, ihn ins Exil nach Mexiko nötigte. Außerdem brauchte Kisch dringend eine Einnahmequelle, denn er war inzwischen ziemlich klamm und wollte Lotte nicht völlig abgebrannt entgegentreten und ihr einen derart zweifelhaften Empfang bereiten.

Die Knopfs hatten ihnen eine Fotografie des Gebäudes gezeigt, in dem der Verlag untergebracht war und genau in dem Moment, als ein Kohlenträger mit einer Kiepe voller Briketts auf dem Rücken, Kisch anrempelte, sich sogleich wortreich entschuldigte und ihm auf den Oberarm klopfte, erkannte er das „Forward Building” schräg gegenüber.

Kisch wischte sich die schwarzen Spuren vom Ärmel, die die nette Geste des Mannes hinterlassen hatte und betrachtete die eindrucksvolle Fassade des 10-geschossigen Bauwerks, das die Nachbargebäude um Längen überragte. Das Auffälligste war das Dachgeschoss. Es wirkte wie ein aufgesetzter Tempel mit Säulen, Kapitellen und Friesen sowie rechts und links je einem terrassenartigen Austritt. Die Dachspitze bildete eine steinerne Muschel mit einer weithin sichtbaren Uhr unter der der Schriftzug „Ferverts” in goldenen hebräischen Lettern prangte.

Das Gebäude beherbergte hauptsächlich die jiddische Zeitung, die der Sozialist Abraham Cahan, mit dem Kisch in Berlin des Öfteren zusammengearbeitet hatte, Ende der zwanziger Jahre in New York gegründet hatte. Sie galt inzwischen als die einflussreichste Kraft im politischen und sozialen Leben der amerikanischen Juden, die schräg gegenüber, im Viertel um die Lower East Side versuchten, in ihrer neuen Heimat Fuß zu fassen. Der Name der Zeitung bezog sich natürlich auf das deutsche Vorbild, den „Vorwärts”, was wenig verwunderte, denn dessen erster Herausgeber war Cahan selbst und Kisch schmunzelte, denn alleine der Anblick des Gebäudes, weckte in ihm schon ein angenehm heimatliches Gefühl und er fühlte sich fürs Erste angekommen.

Zwei berittene Polizisten versperrten ihm die Sicht und als sie sich endlich bequemten, glitt sein Blick über die von Kohlenstaub und dem Schmutz der Stadt leicht rußige Jugendstilfassade, die vier Büsten nahmhafter Sozialisten auf der Höhe der zweiten Etage zierten. Der Grundton der Fassade, ein lichter Ocker, ließ sich nur mehr erahnen, dennoch war der englische Titel der Zeitung, „Forward”, der in aprikosenfarbenen Lettern ganz oben auf der Querseite des Gebäudes und zur Kreuzung hin platziert war, weithin sichtbar.

Im unteren Geschoss vermutete Kisch die Produktion und tatsächlich, da bemerkte er auch schon die Zeitungsjungen, die mit ihren Bündeln der Abendausgabe aus einem der Seiteneingänge strömten. Kisch trat auf das Eingangsportal zu, nahm beschwingt die wenigen Stufen und las auf der polierten Messingtafel: Alfred A. Knopf Publishers Inc., Aufgang IV, 10. Stock.

„Respekt, das Dachgeschoss”, dachte Kisch und schon öffnete der Liftboy ihm das schwarze Scherengitter eines Fahrstuhls. Er lächelte dem kleinen Livrierten zu, ein halbes Kind noch, doch dieser sah verschämt zu Boden und setzte lieber das ruckelige Wunderwerk der Schmiedekunst mit einem „Bling” in Bewegung. Jedes Stockwerk wurde mit diesem hellen Ton angezeigt und Kisch bekam die zügige Fahrt nach oben sogar noch zusätzlich versüßt, denn über dem roten Velours im Sechsten, erhaschte er den Anblick einer Strumpfnaht auf einem bemerkenswert wohlgeformten Frauenbein.

„Knopf Publishers”, meldete der Kleine. Kisch bedankte sich, trat vor die Eichentür und schellte. Während er wartete, besah er sich das Schild mit dem Markenzeichen des Verlages, ein schwarzer Windhund, der auf dem poliertem Messinggrund besonders gut zur Geltung kam und ihn durchzuckte der freudige Gedanke, dass dieser auch bald sein Buch zieren würde.

Blanche selbst riss die Türe auf und ihn auch gleich aus seinem Wachtraum. Unter herzlichem Begrüßungsgeplauder und Glückwünschen zur endlich gelungenen Flucht, Nachfragen nach dem Verbleib seiner Frau und allerlei wechselseitigen Berichten, die in einer solchen Situation angemessen sind, fanden sie sich bald um einen Teetisch an der Glasfront vor der Aussichtsterrasse wieder.

Alfred Abraham Knopf hatte seinem Privatsekretär noch schnell einen Auftrag erteilt und sich, nachdem er Kisch so freundschaftlich entgegen getreten war, dass dieser die Begrüßung nach Männermanier noch Minuten später im Rücken spürte, längst ebenfalls dazugesellt. Kisch lockerte unwillkürlich immer wieder seine Schulter und sog beeindruckt den herrlichen Duft des Darjeelings wie den grandiosen Ausblick ein.

Knopf öffnete ein Vertiko, nahm eine Karaffe heraus und goß Blanche und Kisch einen Weinbrand ein, der im Licht der Nachmittagssonne in den Facetten des Glasschliffs warm und rotgold funkelte. Sie stiessen auf die guten, alten Zeiten an und Knopf nahm eine Mappe von seinem Schreibtisch, suchte kurz, entnahm ihr einen Zeitungsausschnitt, lehnte sich zurück und begann zu zitierten: „Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit. Und nichts Sensationelleres gibt es in der Welt, als die Zeit, in der man lebt!“

Kisch errötete ein wenig und Knopf fragte triumphierend in die Runde: „Wer war’s? Wer hat’s gesagt?” Kisch schaute verlegen. „Du Schlawiner!” donnerte Knopf, „Einfach grandios, mein Freund. Das ist die höchste Kunst der Worte.” Blanche klatschte in die Hände, Knopf nahm einen Schluck und prostete Kisch zu. Dieser rutschte auf seinem Polsterstühlchen herum und sagte schließlich leise: „Drum ist es gut, ein wenig Höhenangst zu haben...” und grinste schief.

Eine gute Stunde später stand Kisch, bleich wie die Wand, auf der Straße und hielt sich an einem Mauergesims des Forward Buildings fest.

Mit zahlreichen Erklärungen und wortreichem Bedauern, hatten die Knopfs ihm auseinandergesetzt, dass in Anbetracht eines möglichen Kriegseintritts der USA an eine Veröffentlichung eines sozialkritischen Kommunisten aus Deutschland und sei seine Reputation auch noch so hoch und seine Leistung unbenommen, nicht zu denken sei.

Kisch kämpfte mit sich. Fassungslosigkeit und Enttäuschung dehnten sich in seinem Inneren aus und der Dämon der Feigheit würzte die gallige Suppe. Eine unsägliche Hoffnungslosigkeit erfasste ihn und schüttelte ihn durch. Minuten verrannen, er bemerkte es nicht.

„Kisch!” Eine Stimme drang zu ihm durch. „Kisch! Ich hatte so gehofft, dich bei den Knopfs zu finden!” Lotte legte ihre Hand unter sein Kinn, hob es an und brachte ihn dazu aufzusehen.


20 06 2016 © nyx
It´s me!
*********ld63 Frau
8.139 Beiträge
Was für ein farbenprächtiger...
... Ausflug durch das New York der 40er Jahre, liebe anima_nyx! *spitze*

Mir schwirrt noch der Kopf von all den eindrücklichen Bildern, Gerüchen, den Begegnungen mit schillernden Persönlichkeiten und den sinnlichen Genüssen, in die ich dank dir eintauchen durfte ... *sternchen* *bravo*

Ungeheuer lebendig und wirklichkeitsnah geschrieben! *love*

Das hat Fortsetzungspotential! *zugabe*
*roseschenk* Into
****orn Mann
11.994 Beiträge
New York
„Atemberaubend, diese Stadt.” dachte er. „Zum Anbeten in ihrer Vielfalt und hassenswert ob ihrer Gleichgültigkeit dem Einzelnen gegenüber.”

Was für eine Beschreibung in nur einem Satz!
*top2*
*spitze*
Grandiose Geschichte, liebe anima_nyx . Federverdächtig, gäbe es sie denn in diesem Thread. *bravo*
*********nd_69 Frau
7.368 Beiträge
... als seiest du dabei gewesen... staunend-Kopf-schüttel
It´s me!
*********ld63 Frau
8.139 Beiträge
Bin auch für eine Feder!! *anbet*

Und lieber Walhorn:
Dooooooooch, wir hatten hier auch schon Federn im Geschichtenspiel! *ja*
****orn Mann
11.994 Beiträge
Wenn das soooo ist, dann liebe Mods, gehet in euch, tagt und entscheidet über unser Begehr.
*zwinker*
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