Stereotypisches Thekenmännergespräch (Part 25)
Gartenparty
Ich wachte mit dem üblichen Brummschädel auf und mir war sofort klar: Ich würde Paula nicht anrufen. In solchen Fällen funktioniert meine gespaltene Persönlichkeit vorzüglich:
„Klar rufe ich an. Wo ist das Problem?“ Aber der andere Teil von mir – nennen wir ihn ruhig Problemstadtteil – wetzt schon die Springmesser und würde einen Anruf niemals zulassen.
Ich war nicht bereit zum ästimieren. Warum ich allerdings davon ausging, dass irgendjemand von mir erwarten würde, die Leistungen anderer anzuerkennen, war mir so unklar wie die Zutaten zu einer Milchschnitte. Egal, nun war Wochenende und das Wetter besserte sich. Ich hatte Lust auf einen leichten Schwips unter freiem Himmel, wenn einem der Wind fremde Gerüche um die Nase reibt, während man trinkend seine Sinne zuerst zur Schärfung, später zur garantierten Betäubung treibt. Die Kunst des gepflegten Rausches besteht darin, den Trieb zum schnellen Absturz lebenslänglich im Zaum zu halten.
So vertrödelte ich den ganzen Tag zwischen Facebook, Youtube, meinem Online-Banking, Youporn und machdenAuftragschnellundbillig.de. Eigentlich wollte ich nur den nutzlosen Tag vergessen, denn ich war für den Abend zu einer Gartenparty eingeladen. Obwohl ich hier täglich mitten im Ort war und als Stammgast bei Helga zum lebenden Dorfinventar gehörte, bekam ich doch sehr selten Einladungen zu privaten Partys, egal ob Geburtstag oder Scheidung. Ich mutmaßte, dass es an meinem Singlestatus liegen könnte. Ein einsamer Wolf war vielleicht gefährlich für die vielen Paare, die sich schon seit Jahren kannten – und langweilten. Wobei von mir keine Gefahr ausging. Kleiner Fick möglich, aber die Frau ausspannen? Haus, Garten, festes Einkommen und Erbschaft? Solche Werte hatte ich nicht zu bieten. Der Zug war abgefahren, auf mich warteten höchstens noch die Geier. Also wem würde das bisschen Sex weh tun?
„Peter?“
Diese Stimme konnte ich nicht zuordnen. Ich stand schon seit zwei Stunden auf dieser Party. Gewerbevereinskumpels, echte Dörfler, nur wenige Fremde versammelten sich in einem Garten, der so geradlinig und gepflegt war, dass ich Lust auf eine Wildkraut- und Maulwurfsabotage bekam. Ich langweilte mich etwas, hier war keine Frau in Sicht, die nicht bekanntlich verheiratet oder von Natur aus so problematisch war, dass einem der Verzicht auf schnellen Sex nicht schwierig erschien.
„Du hast doch dieses Fachbuch im Leonard-Verlag geschrieben?“
Das war nur fast eine Frauenstimme, die ich da erkannte. Hoch, direkt, sich in den Verstand bohrend. Doch es war keine Frau. Das war Arno. Gerade mal 160 cm groß, aber mit dieser geringen Größe war er mir schon mehrmals in die Quere gekommen. Meist auf Partys, wenn es um die letzten noch anwesenden, lebendigen und willigen Damen ging.
„Franziskus-Verlag!“, antwortete ich bestimmt.
„Verstehe, Konkurrenz!“, zwinkerte mir Arno zu, während ich mich zu ihm umdrehte.
„Gelesen?“ frage ich Arno mit diesem kurzen Aufblitzen des Gefühls, zumindest schon mal am Gipfel der Erfolgs geschnuppert zu haben.
„Ja, nicht alles – aber was ich gelesen hatte: Flüssig und durchaus unterhaltsam!“
„Danke!“ prostete ich Arno mit meinem Weizenbierglas zu – was er mit einer dampfenden Teetasse erwiderte.
„Der Arno! Heißen Tee – wo bekommst du den hier und jetzt her?“
„Hab ich dabei – Thermoskanne.“
„Gesund wie immer!“
„Trotzdem hätte ich jetzt gern so ein fettiges Rindswurstbrötchen“, wünschte sich Arno.
„Du überraschst mich immer wieder. Ich hätte jetzt gedacht, wer um die Uhrzeit noch Tee trinkt, ernährt sich auch vegan und glutenfrei.“
„Falsch gedacht“, kokettierte Arno, „der Tee war nur zum Aufwärmen, ich werde dann auch zum Wein übergehen, wenn die hier einen guten Roten haben.“
„Davon gehen ich aus“, antwortete ich und setzte mit einer raumumfassenden Handbewegung hinzu: „Schau dir die Hütte doch nur mal an!“
„Keine Garantie für guten Wein, lieber Peter. Wie heißt es so schön? Von den Reichen kannst du das Sparen lernen!“
„Auch wieder wahr. Palast bauen und Daimler fahren, aber den Gästen Discounter-Wein einschenken – wäre nicht das erste mal, das zu erleben ...“
„... wobei auch Discounter-Wein nicht schlecht sein muss!“, weissagte Arno und deutete zu einem Popper-Grill, an dem sich ein echter Bruzzelprofi austobte, umwandet mit einer schwarzen Grillschürze mit dem Aufdruck „Grillmeister DeLuxe“.
„Ich geh jetzt mal nach der Rindswurst fragen.“
„Mach das Arno, ich hol mir inzwischen mal ein frisches Bier.“
Auch wenn mich Arno aus meiner Lethargie gerettet hatte, war ich doch froh, wieder alleine zu sein. Ich hatte Lust auf Begegnungen und neue Leute - oder einfach nur beobachten und fremdes Leben belauschen. Scheinbar beiläufig Gespräche mithören und sich mit einem Kommentar einmischen. Mit meinem frisch aufgefüllten Weizenbierglas schlenderte ich durch den Garten, auf befestigten Wegen vorbei an Grüppchen, die sich um Stehtische oder Sitzgruppen ansammelten. Zuerst hörte ich einem offensichtlich frisch gebackenen Vater zu, der fasziniert – oder schon leicht beschwipst – seinem scheinbar kinderlosen Kumpel das Elternleben erläuterte:
„Die ganze Nacht hat der geplärrt. Man kann irgendwann die Typen verstehen, die ihre Kinder schütteln. Aber ich würde so was natürlich niemals machen. Ich war total übermüdet. Durch. Mit meinem Latein am Ende. Gabi war nicht zum Stillen da. Zum ersten Mal seit der Geburt Mädelsabend. Abgepumpte Milch war da, ich hatte alles im Griff – trotzdem schrie Leon, bis ich echt wütend wurde. Aber irgendwann kam der rettende Furz. Er hatte einfach nur Blähungen. Du glaubst gar nicht, wie man sich als Vater über einen Furz freuen kann. Endlich schliefen wir doch ein. Dann wurde ich im Wohnzimmer von Gabi geweckt, das kleine Würmchen auf meiner Brust liegend, Herzschlag an Herzschlag. So warm, so leicht, so zerbrechlich. So friedlich sein Gesicht. Ich sage dir: Dieser Moment ist das pure Glück. Die Liebe. Einfach alles ...“
Bei dem Thema konnte ich mich nicht einmischen. Ich hatte ja keine Kinder. Mir wäre nur ein fieser Kommentar eingefallen, Worte wie: „Sie werden es dir nicht danken. Ziehen aus, führen ihre Leben und streiten sich um das Erbe.“ Nein, der Typ war so windelweich glücklich gespült und von seiner eigenen Geschichte den Tränen sichtbar nahe – ich gönnte es ihm. Und seiner Frau, die ein paar Meter weiter hinter ihm stand und sich offenbar mit einer Freundin unterhielt. Sie schielte zu ihrem Mann herüber und schüttelte den Kopf. Ich deutete diese Geste als ihre Erkenntnis, das Männer aus ihrem einmaligen Babysitting eine echte Heldentat machen, während die Frau als Mutter kaum Anerkennung erfuhr für Schwangerschaft, Geburt und Aufzucht der Plagen. Ich ging ein paar Schritte weiter und lauschte einem Gespräch unter zwei Männern, die offensichtlich irgendwas mit Vereinen zu tun hatten:
„Kennst du das auch, diese Wünsch-dir-was-Mentalität? Lassen sich das ganze Jahr nicht blicken, tauchen zur Jahreshauptversammlung auf und liefern tolle Ideen. Aber dann sind sie wieder weg ...“
„Kenne ich. Ich hab das letzte Mal auch gesagt: Toll, wenn ihr Ideen habt, aber noch toller wäre, ihr würdet sie auch umsetzen. Ich habe da gar nichts dagegen und werde alles genehmigen, aber – macht!“
„Rindswurtsbrötchen, ich hätte jetzt so gern ein Rindswurstbrötchen“ unterbrach die schrille Stimme Arnos meinen Lauschangriff. Mittlerweile hatte er den Tee gegen ein stilvolles Weinglas eingetauscht. Langstielig, bauchig, darin ein Rotwein, der schwerer aussah als das Beichtgeheimnis des Dorfpfarrers.
„Arno, dann hol dir halt ein Rindswurstbrötchen!“ Ich war nur leicht genervt.
„Geht aber nicht, der Grillmeister backt gerade Tofu für die Vegetarier unter den Gästen.“
„Meine Fresse – und der Rotwein ist sicher vegan?“
„Keine Ahnung. Was ist eigentlich veganer Rotwein? Ohne Reblausblut, oder was?“
Arno kichert herzlich, ich konnte nicht anders und musste mitlachen.
„Prost, Arno“, hob ich mein Glas, „du bist ein Blödmann, aber eigentlich ganz ok.“
„Danke Peter, geht mir mit dir Sackgesicht ebenso!“ Er nahm einen Schluck aus seinem Glas und stiefelte gleich weiter, um sich unter die Menge zu mischen:
„Wir sehen uns, Peter. Ich muss da noch mit jemandem reden“ - und weg war er.
Ein paar Schritte weiter lauschte ich in ein anderes Gespräch:
„Pressefreiheit. Was soll dieses Gejammer mit der Pressefreiheit. Ist doch sowieso alles gelogen!“. Ich drehte mich unauffällig um und wechselte die Richtung. Die klassische Lügenpressediskussion wollte ich an diesem netten Sommerabend überhaupt nicht, weder aktiv noch passiv. Ich wandelte durch die Baumarkt-Gartenwüste und setzte mich mit meinem Bier in der Hand auf ein Blähbetonarrangement, dessen Funktion sich mir nicht erschloss. War sicher ein Sonderangebot. Oder gab es gratis zum gemieteten Rasenmulcher. Am Stehtisch daneben klagte ein scheinbar frisch getrennter Mann einem offensichtlich besorgten Zuhörer sein Leid:
„Ich hab auf das falsche Pferd gesetzt. Sie wollte immer ihre Karriere. Und Kinder. Und ein Haus. Und einen Garten. Für mich war das ok. Also kümmerte ich mich um die Kinder, das Haus, den Garten. Aber das war nicht der Typ, den sie wollte. Sie wollte einen erfolgreichen Akademiker. Das ist so ein Tick in ihrer Familie. Da bin ich als mittelloser Gärtner nicht die richtige Wahl. Irgendwann kam das durch und dann kam Hermann. Dipl.Ing.Dr. Hermann Brodelshausen. Zack – bumm – peng. Ich war draußen, er war drinnen und hat ihr dabei auch gleich noch ein Kind gemacht.“
„Scheiße“, tönte sein Gegenüber langgezogen und hob das Glas zum Anstoßen.
„Ja, scheiße. Und was habe ich jetzt? Geteiltes Sorgerecht, eine Mietwohnung und einen halben Job, mit dem ich nicht weiß, wie ich damit die nächsten Jahre über die Runden kommen soll. Und die Jungs natürlich, die mehr bei mir sind, als bei ihr. Aber als Mann bekommt man da keinen Unterhalt, wenn der Trauschein fehlt.“
„Scheiße“, seufzte sein Gegenüber erneut, „bin ich froh, das ich Single bin!“
Das war ich in dem Moment auch. Auch wenn mich die Glücksgeschichte des jungen Vaters von Tisch eins echt gerührt hatte.
„Rindswurstbrötchen. Immer noch kein Rindswurstbrötchen!“
Arno stand wieder neben mir. Leicht schwankend, mittlerweile ein Glas in der Hand, dessen goldgelbe Flüssigkeit verdächtig nach Whiskey oder Weinbrand aussah. Mir reichte es.
„Komm mit, Arno!“, raunte ich ihm trocken zu und nahm in an der Hand, um ihn hinter mir her zum Grill zu zerren.
„Hallo Grillmeister DeLuxe“, grüßte ich freundlich und sah dem verschwitzten Mann direkt in die Augen.
„Ja?“
Mir stieg der Geruch von etwas in die Nase, dass mich an nasse Socken erinnerte. Der Mann drehte mit seiner Grillklammer gerade Auberginenscheiben um, die mit undefinierbarem, klebrigem Schleim eingeschmiert wurden.
„Meister, das ist doch ein Grill hier, oder?“
Ja?“
„Gut. Auf den Rost eines Grills über der glühenden Kohle legt man was?“
„Ja?“
„Ja. Hör mal. Das Zeug da, das kann man vielleicht rauchen. Ich glaube, da ist sogar Nikotin drin. Aber auf den Grill gehört nur eins: Eine ordentliche Rindswurst!“
„Ja?“
Wieso redete der Mann nicht mit mir? Machte ich ihm vielleicht Angst? Arno war mucksmäuschenstill und räusperte sich verlegen.
„Moment, bitte“, sprach ich mit erhobenem Finger, stellte mein Bier ab, nahm mir die zweite Grillklammer, einen Teller und stapelte das klebrige Zeug ordentlich darauf auf.
Grillmeister DeLuxe drehte sich zur nahen Terrasse um und rief:
„Jaqueline, Jennifer, Jeanette – eure Vegi-Burger sind fertig!“
Er begann, mit dem Brotmesser lätschige Burgerbrötchen aufzuschneiden.
„Meine Töchter“, zuckte er traurig die Schultern, „alle drei Veganerinnen. Wie die Mutter!“
Voller Mitleid klopfte ich ihm auf die Schultern. Mit einer Träne im Auge schielte er auf die Rindswurst, die ich aus der neben dem Grill platzierten Kühltasche zog.
„Na also, Arno – geht doch!“, schmunzelte ich zufrieden: „Und dem Grillmeister machen wir auch gleich eine mit. Prost, Leute!“
„Prost“, kicherte eine mir wohlbekannte Frauenstimme hinter meinem Rücken: „... und mach mir auch gleich ein Rindswurstbrötchen – mit Ketchup und Majo!“
Schockstarre. Gänsehaut. Fieber. Das war Paula...