Engel
Tagelang schon schmeckt die Luft nach Abschied, nach Verlust. Es wird etwas verlorengehen, das du niemals wirklich hattest. Du hast es nicht besessen, es aber vielleicht gerade deshalb genossen. Dein Leben hatte plötzlich eine Leichtigkeit, du hattest des öfteren den Gedanken an diese berühmte Leichtigkeit des Seins. Es war eine wunderschöne Zeit, du fühltest dich lebendig, verstanden, einfach rund. Dein Leben war endlich wieder rund.Dann spürst du plötzlich dieses Knistern in der Luft um dich. Jeder Atemzug, jede Zelle in dir, alles fühlt sich nach Veränderung und Verlust an. Nach Schmerz.
Du fühlst es, weißt es, kannst es aber nicht aufhalten. Dein Schicksal schlägt mal wieder zu. Der gehässige Clown deines Lebens grinst dir mal wieder ins Gesicht. Dir bleibt nichts anderes, als abzuwarten. Zu warten, bis sich die dunklen Wolken verdichten und dir die Wahrheit ins Gesicht schlägt.
Du bist nicht überrascht, als die Worte kommen, die zu Sätzen werden. Du nimmst es klar auf, als würde dir jemand deine Gefühle der letzten Tage erklären. Die Luft knistert endlich nicht mehr, es ist ausgesprochen. Die Qualen des Nachdenkens, wann trifft es endlich ein, sind vorbei. Endlich. Die Tränen sind befreit und können fließen. Erlösung. Und gleichzeitiger Fall ins Nichts.
Im Hintergrund singt der Mädchenchor das Lied von Rammstein von Engeln, die hinterm Sonnenschein leben und sich an Sterne krallen, damit sie nicht vom Himmel fallen. Dass sie Angst haben und alleine sind, und Gott weiß, ich will kein Engel sein.
Und du sagst dir auch, ich will kein Engel sein. Du lachst verbittert, du schwankst zwischen unendlicher Wut und Verständnis. Du verstehst jedes Wort, du kannst es nachfühlen. Fühlst dich verloren und verraten. Wieder mal verloren. Der Teufel hat wieder zugeschlagen und lacht dir ins Gesicht. Wieder wird jemand anderes gewinnen. Wie immer. Du stellst mal wieder fest, du bist einfach zu gut für diese Welt. Zu lieb, zu sanft, zu verständnisvoll. Zu naiv? Aber das bist du. Und du willst dich nicht verbiegen, nur um auch mal als Sieger dazustehen. Nein, das ist es nicht wert, denkst du. Kämpfen um etwas, das nicht von alleine zu dir steht? Das nicht von selbst so gefestigt ist, dass es funktioniert.
Es war alles unverbindlich. Jedoch - können Gefühle wirklich unverbindlich sein? Gefühle verbinden, Nähe entsteht. Wie passt dazu die Unverbindlichkeit? So tief verbunden wie ihr wart seit diesen wundervollen gemeinsamen Nächten - das Wort Unverbindlichkeit in diesem Zusammenhang auszusprechen hieße, alles eine Lüge zu nennen.
Jedoch du kannst nicht anklagen. Du verstehst. Du kannst deine Wut nur gegen dein Schicksal wenden und das ist schon so abgenutzt. Wirkliche Befriedigung gibt dir das nicht mehr. Deinem Schicksal ist es scheißegal, wie wütend du auf es bist.
Und du weißt jetzt schon, wie es ausgehen wird. Du kennst dein Schicksal zu gut. Es gibt noch keine Entscheidung. Ja, schön, aber da du immer der Looser bist, steht die Entscheidung für dich bereits fest. Du wartest nur noch, bis sich die Wolken wieder verdichten und dir die Wahrheit ins Gesicht schlägt.
Nein, ich habe zwar Angst und bin in mir allein,
aber Gott weiß, ich will kein Engel sein.
Engel sind immer einsam. Sie sind zu ehrlich und vertrauen immer blind. Sie schweben da oben auf ihrer Wolke und gehören eigentlich nicht auf diese Welt.
Sie faszinieren die Menschlein mit ihrem offenen, ehrlichen Blick, mit ihrer Seele, die sie offenbaren, unschuldig, vertrauensselig. Hast du in ihre Seele geschaut, dann enttäusche sie nicht. Denn Engel fallen tief...