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Es ist vollbracht. Wir leben optimiert. Vegan ist in. Fette Wurst isst nur, wer nicht dazu gehört. Fleischsalat wird zur Revolution gegen das Establishment. Eine App sagt dir, wie oft Du dich bewegen sollst. Das Kaufen von Schokolade wird zum Risiko, hast Du nachgezählt? Mehr als eine Tafel im Monat wird an der Supermarktkasse registriert, weil du nicht mehr anonym mit Bargeld zahlen kannst. Die Daten gehen an die Krankenkasse, bei der zweiten Tafel Schokolade steigt der Beitrag für deine „Gesundheitskasse“ um zwei Prozent. Eine Kiste Bier? Zehn Prozent. Kartoffelchips? Du wirst dir eine neue Krankenkasse suchen müssen, aber du wirst keine finden.Falls du doch noch einen Laden findest, in dem du bar zahlen kannst, leuchtet an der Decke über der Kasse eine Kamera verräterisch auf. Du hast komplett vergessen, dass dein neuer Personalausweis mit einem biometrischen Passbild versehen ist. Die Kasse registriert nicht gesundheitskonformes Essen, dein Bild wird gescannt, dank Biometrie wird sofort erfasst, wer da versucht hat, sich an der bargeldlosen Zahlung vorbei zu mogeln.
Jobsuche mit 20 Kilo Übergewicht? Vergiss es. Dicke sind dauernd krank, nörgelig, bringen keine Leistung, schwitzen und verschmutzen den digitalen Arbeitsplatz mit Kekskrümeln. Außerdem passen sie nicht auf das Jahresfoto der Belegschaft. Alle Mitarbeiter sind jugendlich, schlank, trainiert. Bis ins hohe Alter. Wir sind fit, voller Elan, gesund. Zum Arzt geht nur, wer sich im Skiurlaub das Bein brach oder beim Radeln über die Alpen die Kontrolle über sein Downhill-Bike verloren hatte.
Da bleibt nur das Ghetto. Kein Job, extrem hohe Beiträge für die Krankenkasse, weil dir die App nicht nur sagt, wie oft du dich bewegen sollst, sondern auch der Krankenkasse meldet, dass du dich gar nicht bewegt hast – und das seit drei Tagen! Auf Facebook hast du geschrieben, wie geil du das ganze Wochenende mit Freunden gefeiert hast. Laute Musik, Bier, Schnaps, Frauen. So wie ihr auf den Fotos ausseht, vermutet dein Chef Drogen. Er schmeißt dich raus. Die Miete für die coole Wohnung ist nicht mehr bezahlbar, du musst in das Viertel ziehen, wo die wohnen, die keiner haben will. Weil du da wohnst, will dich auch keiner mehr haben.
Alle rennen, trainieren, spurten - Extremsport. Erfolg, Geld, Haus, Auto. Glück dem, der da mitkommt. Reihenhaus, Garten, Familie, Kinder. Planquadrat. Kein Unkraut zu viel, kein Pflasterstein zu wenig. Das moderne Gefängnis vergehender Lebenszeit hast du dir selber ausgesucht. Du wolltest es so. Weil es alle so wollen. Du willst nicht außen stehen. Du willst nicht im Ghetto sitzen.
Du baust ein Haus. Noch während sich die Baukräne bewegen, lauern in einer Hecke am Rand des Neubaugebiets Logopäden, Physiotherapeuten und Psychologen mit Ferngläsern. Sie beobachten sehr genau, wie sich deine Kinder entwickeln. Die entwickeln sich natürlich prächtig, aber es könnte noch etwas prächtiger gehen. Anstatt auf Bäume zu klettern oder im Matsch zu liegen, werden sie Sprachübungen machen, mit Gummibällen durch plüschige Praxen rollen und sich fragen lassen, warum sie Angst davor haben, vom Zehn-Meter-Brett zu springen – und das im Kindergartenalter.
Sie werden Sport machen. Sinnvollen Sport. Judo, Karate, Rudern, Schach. Einfach nur zum Spaß mit dem Fahrrad durch den Ort rauschen? Zu gefährlich. Mit den Jungs zusammen kicken? Ghettosport!
Gelacht und gefeiert wird nur noch in Uniform. Selbst zum kleinsten Dorffest kommt mittlerweile jede Frau im Dirndl und jeder Mann in Lederhose und Karohemd – und das nicht nur in Bayern, sonder all over Germany. Schwarzbraun ist die Haselnuss. Gefeiert wird im strikt abgesteckten Rahmen. Anfang, Höhepunkt, Schluss – minutiös festgelegt. Wer aus dem Rahmen fällt, wird abgeführt, Ausnüchterungszelle, der Chip unter deiner Haut oder der „Gesundheitsaufkleber“ registriert jede Verfehlung, die Polizei macht Meldung. Du hast versagt, weil du nur einmal über die Stränge schlagen wolltest. Frau weg, Haus weg, Job weg – Ghetto.
Die Gesellschaft sortiert sich schleichend immer mehr zwischen Fitnesscenter, Workshop und Gesundheitsphilosophie. Sie optimiert sich. Stark, gesund, rein. Rein kommt nur, wer gebraucht wird. Alle anderen lassen wir untergehen oder ins Verderben rennen. Der Bodensatz der Gesellschaft als Dünger für die Edelgewächse. Brora ist jetzt eine Jugendherberge. Soll Franz-Josef Strauss in die Wallhalla? Sitzt Gott an der Börse?
Dabei spielt Religion keine Rolle mehr. Kirchen sind leer, Rituale eine Farce. Mit der Bedeutungslosigkeit der Amtskirche geht auch die Spiritualität des Volkes verloren, die Spiritualität in Familien und Gemeinden. Sie wird ersetzt von Quacksalbern, die selbstgebastelte Glaubensbilder aus dem Baukastensystem zwischen Buddhismus, Schamanismus und Gockelores vermitteln. Einzig zu dem Zweck, die Selbstoptimierung weiter voran zu treiben und dem orientierungslosen Lemming das Fell über die Ohren zu ziehen, um besser an den Inhalt seiner Brieftasche zu kommen.
Wir sind politisch korrekt. Es gibt keine Meinung mehr außer dieser: Mach es allen Recht. Rechts davon ist ein schwarzes Loch, links davon ein Vakuum. Der Mainstream ist mehr als gender, was keinen stört, solange das vollwertige Essen auf dem Tisch steht und der Börsenkurs stimmt. Wut haben nur die, die im Ghetto vergessen wurde. Aber da kommen sie nicht raus.
Adolf sitzt auf seiner Wolke und sieht, dass es gut war. Ein blonder Engel fliegt vorbei und ruft ihm winkend zu:
„Es war ja nicht alles schlecht…“