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Die lebensrettende Zigarette

*******tia Mann
5.068 Beiträge
Themenersteller 
Die lebensrettende Zigarette
Es krachte. Es donnerte. Es war unerhört laut. Diesen Lärm konnte man sich niemals vorstellen. Das Rattern. Das Tosen. Dazwischen Schreie von Verletzten und Sterbenden. Flugzeuge, die den Himmel nicht in Ruhe ließen.
Maschinengewehrsalven aus allen Richtungen, die nicht mehr zu unterscheiden waren in Freund oder Feind. Der jugendliche Deutsche, gerade mal fünfzehn Jahre alt, fragte sich, warum er hier war.

Er hatte es vergessen, wie er mit Freude von zuhause weg ging. Das elende Dorf verlassen, endlich was von der Welt sehen. Frankreich, Italien, Spanien. Ohne mit seinen Kameraden in den Krieg zu ziehen, wäre er doch für immer gefangen geblieben in den familiären, gesellschaftlichen und kirchlichen Zwängen des kleinen Kaffs in einem armseligen Spessarttal. Hauptsache raus. Das bisschen Krieg konnte man dafür schon in Kauf nehmen.

Aber es war kein bisschen. Es war brachial. Massiv. Mörderisch. Wie viele Jungs in seinem Alter hatte er schon sterben sehen. Gerade standen sie noch neben ihm im Schützengraben, dann ein Blitz, ein Knall, und einem Freund fehlte ein Arm oder ein Bein. Oder da, wo sich früher der muskulöse, schlanke Bauch befand, war jetzt nur noch ein blutiges Loch, aus dem die Gedärme quollen. Sie jubelten dann nicht mehr, machten keine Witze mehr über schöne Französinnen, sie wimmerten nur noch:
„Mama!“

Mama. Wie gerne wäre er jetzt zuhause. Er konnte nicht sagen, ob ihm seine Mutter jeweils Liebe gezeigt hatte. Trotzdem würde er jetzt lieber in der Küche seiner Mutter sitzen, am warmen Ofen die eingefrorenen Füße wärmen und einen Pfefferminztee, von frischem Blättern aus dem Garten, trinken. Sie hatte keine Reaktion gezeigt, als er ging. In frischer Uniform, mit seinem strahlenden, fröhlichen Lächeln, eingereiht in die Truppen des jungen Kanonenfutters. Vielleicht vermisste sie ihren Sohn gar nicht. Oder war sie nur versteinert, weil sie wusste, was kommen würde?

Jetzt ging es jedoch nur ums nackte Überleben. Er rannte über irgendeinen französischen Friedhof. Er wusste schon lange nicht mehr, wo genau er war und es war ihm auch scheißegal. Die Vorgesetzten gaben keine Befehle mehr aus, es herrschten nur noch Panik, Chaos und Angst. Er hatte den Anschluss an seine Truppe verloren. Maschinengewehre ratterten unaufhörlich, hier und da blitzen Mündungsfeuer auf. Ein Grabstein, den er gerade passierte, zerplatzte und ein Splitter zerkratzte ihm die Wange.
„Über die Mauer, ich muss über die Mauer“, dachte er hektisch atmend. Hinter der Mauer waren Bäume und Gebüsch, dort könnte er sich verstecken und abwarten.

Er rannte und rannte. Die fünfzehn Meter bis zur Mauerer schienen lang wie eine von Hitlers Autobahnen. Ohne Deckung rannte er um sein Leben, setzte zum Sprung an, wuchtete seinen Körper mit den Händen auf dem Mauersims über das Bauwerk und kam krachend im Unterholz an. Er lag auf dem Rücken und atmete erleichtert aus.

Jemand lud seine Waffe nach. Er hörte ein Rascheln neben sich. Langsam drehte er den Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Schemenhaft erkannte er einen Soldaten mit Maschinengewehr im Anschlag, und als sich seine Augen an die Dunkelheit im Dickicht gewöhnt hatten, erkannte er die Uniform eines Amerikaners.
Seltsamerweise trat ein Moment der Stille ein. Um sie herum war immer noch das Lärmen des Krieges hörbar. Aber dieser Ort, dieses kleine Nest im Gestrüpp war still. Beide hörten nur das eigene schwere Atmen der Angst und das Atmen des Fremden in der feindlichen Uniform.
Sie erkannten schnell, dass sie altersmäßig nicht weit auseinander waren. Dumme Jungs, die sich in diesen bescheuerten Krieg hatten mitreißen lassen. Junge Männer, die sich in nackter Angst ums Überleben hinter dieser Mauer verschanzt hatten. In friedlichen Zeiten könnten sie genauso gut zusammen Fußball spielen oder sich gegenzeitig fremde Länder zeigen. Sich lachend über die jungen Mädchen an ihren Schulen unterhalten. Aber jetzt war Krieg.

Sie schwiegen und starrten sich an. Jeder erkannte die Angst in den Augen des anderen. Das panische Atmen. Jeder roch den stinkenden Schweiß des Horrors.
Der junge Deutsche ließ sich zurück fallen, er war bereit, sich seinem Schicksal zu ergeben und stöhnte in den Himmel:
„Was gäbe ich jetzt für eine letzte Zigarette?“

„Cigarette? Do you have some fire?“
Der Amerikaner hatte erstaunlich freundlich gesprochen. Wollte er wirklich Feuer vom deutschen Soldaten haben? Der junge Deutsche sah auf und tatsächlich: Der Amerikaner hatte die Waffe fallen lassen und hielt ihm eine Packung „Camel“ hin. Eine Zigarette streckte einladend ihren Hals aus der Verpackung. Mein Gott, was für ein Glück, amerikanische Zigaretten!

„Feuer, ja ich habe Feuer!“. Der Deutsche kramte ein altes Feuerzeug aus seinen Taschen, Erbstück des Großvaters. Er hatte es gesten- und wortreich von seinem Opa überreicht bekommen, als er eingezogen wurde.
Er nahm sich die Zigarette, wartete bis sich der Amerikaner ebenfalls eine in den Mund gesteckt hatte und zündete sie ihm an, um sich gleich danach die eigene anzufeuern und den Rauch tief einzuziehen.

Sie rauchten schweigend und starrten in den Mond. Was hätten sie auch sagen sollen? War es interessant zu wissen, wo der andere herkam, wer er war, warum er hier war? Wozu? Stunden später würden sie sich vielleicht im Gefecht über den Haufen schießen. Oder einen ihrer Kameraden.

Sie hatten aufgeraucht. Sie winkten sich friedlich lächelnd zu und jeder schlich sich an der Mauer entlang in entgegen gesetzter Richtung davon.

Manchmal können Zigaretten Leben retten.


(__(____(((~~


(Für meinen Vater, der mir so eine Geschichte erzählte, als ich noch viel zu jung war, um sie zu begreifen. Dies ist eine Art Rohfassung, aber schon so lange trage ich sie mit mir rum. Das musste jetzt raus ...)
****orn Mann
11.994 Beiträge
Mein lieber Mann!
Faszinierende Geschichte. Beklemmend und doch auch Hoffnung machend. Klasse erzählt. Ganz feiner Erzählfluss, ja sogar packend und spannend bis zur letzten Zeile.
*top*
*******tia Mann
5.068 Beiträge
Themenersteller 
Danke für die Dankes-Daumen,
Danke für den Kommentar, Walhorn, so spät in der Nacht.
It´s me!
*********ld63 Frau
8.147 Beiträge
Lieber Impotentia,

mir hat die letzte Szene der Geschichte auch gefallen, und ich finde die Idee der Geschichte sehr gut.

Über Rechtschreibfehler oder Stilistisches will ich mich nicht auslassen - das sollte besser jemand tun, der oder die sich damit besser auskennt. *smile*

Ich versuche mal, auszudrücken, was mich vom Inhaltlichen her irritiert hat, oder mir unstimming erschien.

Zum einen hab ich erst nach dem 3. oder 4. Absatz begriffen, um was es in der Geschichte eigentlich geht: 2. Weltkrieg, ein Junge, der in den Krieg zieht und sich mitten im Kampf wiederfindet. Das kam mir nicht plastisch genug rüber. ich hätte mir gewünscht, das zu sehen, was er sieht, aus seiner Perspektive.

Ich finde, das zu frühe Rückblenden das drastische Geschehen eher verwässern als Aufschluss geben, vor allem, wenn sie so kurz sind:

Er hatte es vergessen, wie er mit Freude von zuhause weg ging. Das elende Dorf verlassen, endlich was von der Welt sehen. Frankreich, Italien, Spanien. Ohne mit seinen Kameraden in den Krieg zu ziehen, wäre er doch für immer gefangen geblieben in den familiären, gesellschaftlichen und kirchlichen Zwängen des kleinen Kaffs in einem armseligen Spessarttal.

Ich lese deine Worte, und kanns mir vorstellen, weil ich phantasiebegabt bin - aber der Text als solcher bringt mir die Stimmung des Jungen nicht rüber, weil zu wenig persönliche Details beschrieben werden.

Ab der Szene mit dem Amerikaner wird die Geschichte richtig interessant. *top*

Aber sie hat viel mehr Potential! Wenn du dich mehr auf die Zeit und das Geschehen einlassen kannst und das rüberbringen, dann wird das eine richtig gute Geschichte.

Lieber Gruss!
Into
*******tia Mann
5.068 Beiträge
Themenersteller 
Into
Danke für die kritischen Anregungen.
Ich werde es dementsprechend selber noch mal lesen und beurteilen.

War wie gesagt ein "Schreiben müssen", irgendwann werde ich die Szene mal ausbauen und/oder in einer größere Geschichte einfließen lassen.

Ich sehe es quasi als erste Skizze.
Berührend
Ich schreibe meine spontane Reaktion..

Bei dem Moment wo sich das Blatt wendet und er weiß dass er nicht sterben wird, habe ich geweint! Es hat mich sehr berührt, die Erleichterung konnte ich fühlen.
Danke für diesen intensiven Moment...der sich vorher langsam aufbaut durch den Text.

Der Abschied klingt mir zu schnell positiv und mit einer Leichtigkeit, die mir nicht so schnell realistisch scheint: Durch das Lächeln. Für mich wäre es stimmiger, wenn die Personen ernster und wenn, dann nur angedeutet lächelnd auseinander gehen..
Ich kann mir vorstellen, dass beide und besonders dein Vater in einem traumatischen Schockzustand war.. Aber mag auch mein subjektives Gefühl sein!

Schreckliches Thema aber gut, dass Du uns so hinschauen lässt.
*******tia Mann
5.068 Beiträge
Themenersteller 
Danke Mija
Tränen kamen mir auch schon, während ich die Geschichte jemandem erzählt habe.

Ist irgendwie fast was Intimes ...
*******nd29 Mann
696 Beiträge
Opas Geschichten
Von Vätern und Opas kann man einige interessante Geschichten erfahren. Da steckt Erleben d'rin, das wir uns kaum noch vorstellen können. Zeitzeugen des letzten Weltkrieges gibt es ja nur noch wenige. Oftmals sind es auch heitere Geschichten, die man zu hören bekommt, da sie leichter wiegen im Gedächtnis. Leicht sind auch diese mit einem Schimmer an Hoffnung, wie diese Geschichte. Es gibt auch Geschichten die mit eigener Schuld belastet sind. Manches kommt ohne Details und vieles bleibt ausgeblendet. Manche Geschichten wurden erst auf dem Sterbebett erzählt.
Es ist gut, soetwas niederzuschreiben.

Er konnte nicht sagen, ob ihm seine Mutter jeweils Liebe gezeigt hatte./quote]

'jemals' meintest Du sicher...
******nde Frau
362 Beiträge
@impotentia
Danke für diese berührende Geschichte!

Durch den ersten Abschnitt war mir sofort klar, der Schauplatz konnte nur im Krieg sein, in welchem war (mir) nebensächlich.

Dieses zutiefst menschliche Zwischenspiel hinter der Friedhofsmauer hat mich berührt. Vielleicht weil das Geschehen ringsum so hochdramatisch ist und an die Grenzen der psychischen Aufnahmefähigkeit der Personen geht, finde ich das Lächeln auch passend, denn es ist eine Ausnahmesituation und da reagiert man anders als in alltäglichen, angepassten Abläufen. Wer hat nicht schon mal gelacht, wenn ihm eine Situation absurd vorkam?

Mama. Wie gerne wäre er jetzt zuhause. Er konnte nicht sagen, ob ihm seine Mutter jeweils Liebe gezeigt hatte.

Meintest du hier vielleicht: jemals?

*top*
*******tia Mann
5.068 Beiträge
Themenersteller 
Ja, jemals - verdammt, verdammt, was man alles übersieht, wenn man emotional schreibt. Bei Sachtexten passiert mir sowas nie.

Danke Euch!
*******tia Mann
5.068 Beiträge
Themenersteller 
Es gibt noch mehr solcher Geschichten, die bei mir hängen geblieben sind. Zumeist weniger die heiteren. Oder von einer Heiterkeit, die eigentlich bitter ist.

Ob es wirklich eine Friedhofsmauer war, weiß ich nicht. Für mich als Kind, wenn ich der Geschichte zuhörte, war es eine. Es hat mich beim Erzählen des Vaters an einen Platz hinterm Friedhof erinnert, an dem wir als Kinder spielten.
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