Sauer-Land
Sauer-Land
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„Du, Joachim?“
„Ja?“
„Sag doch auch mal was dazu!“
„Wozu denn?“
„Naja, zu Allem!“
Betroffenes Schweigen.
„Nee.“
„Och komm, lass mich nicht hängen.“
Einen winzigen Augenblick vergnügte sich Joachim bei der Vorstellung, seine Gattin im Rahmen einer Bondage- Vorführung einfach mal hängen zu lassen bis zum Frühstück. Ein Grinsen zeigte sich einen flüchtigen Moment lang auf seinem Gesicht. Joachim hatte gelernt, dass allzu offensichtliches Deutlichsein die Peitsche zur Folge hatte. Ergo steuerte er alle aufwallenden Gefühle still in sich hinein, was, nüchtern betrachtet, recht weise war. Er kannte seine Frau gut genug. Emotionen waren schon seit Jahren verpönt. Auch ihre Hochzeit war kein spontaner Entschluss oder das Resultat aus Liebe und Zusammengehörigkeitsgefühl, sondern ein geschickt arrangiertes, logisches Kalkül. Hier im trauten Heim jedoch...
„Na, was willst du denn wissen?“, ergab sich Joachim in sein Schicksal.
„Schau mal, dieser griechische Präsidenten-Praktikant…“ – Denkpause – „wie hieß er noch?“
„Du meinst Tsipras?“
„Ja genau. Also dieser…“
„Der ist aber Präsident!“, unterbrach Joachim sie.
„Nee Joachim, isser nich. Oder habe ich das genehmigt? Hä? Der bleibt erstmal Praktikant, bis er spurt.“
„Wieso spurt? Was willste denn von dem?“
„Joachim! Du wohnst aber schon auf demselben Planeten oder? Ich finde es echt unfair, dass du an meinen Problemen und an meinem Job so wenig Interesse hast! Immerhin ernähre ich uns nicht schlecht, oder?“
„Is ja jut“, antwortete Joachim, bevor ihre Ansprache in die übliche Endlosschleife ging.
„Dieser Doofmann hat in Griechenland die Privatisierung des Hafens von Piräus gestoppt! Ist der noch zu retten?“
„Eigentlich finde ich das total gut!“, wollte Joachim antworten, denn den Ausverkauf der staatlichen Obliegenheiten macht keinen Staat reicher, im Gegenteil. Mithin war das alles ja mit Steuergeldern erbaut worden und somit würde dem Volk etwas gestohlen. Aber das konnte Joachim seiner Frau auf keinen Fall sagen, sie ging ihm ohnehin schon reichlich auf den Keks. Hinzu kam, dass die europäischen Kreditgeber, seine Gattin vorneweg, den Verkauf des größten griechischen Hafens als Bedingung in die Verträge eingebaut hatten. Und immer öfter fragte sich Joachim, warum wohl. Weil der Verkauf kurzfristig zwar Geld kosten würde, langfristig aber eine gewinnbringende Investition war. Da man aber keine Koffer voller Geld nach Athen tragen möchte, wurden Kredite gewährt. Nein, nicht für das arme Volk, das kaum etwas zum kauen hatte. Für die Banken natürlich. Der Kauf des Hafens würde dann abgewickelt werden über die Rückzahlung der griechischen Schulden, finanziert aus EU-Geldern, also eigentlich dem Geld der Steuerzahler, das die sowieso nie wiedersehen würden. Die EU wusste das, seine Gattin wusste das und Tsipras wusste das auch. Die Einnahmen des „privaten“ Hafens allerdings würden fortan in anderen, privaten Kanälen, mit einem kurzen Abstecher auf private Konten der verantwortlichen Politiker, verschwinden. Jedoch nicht in griechischen. Also hatte Tsipras Recht. Joachim jedoch schwieg beharrlich. Er war noch nicht lebensmüde.
„Und dann will der linke Sack mich echt ärgern, is wohl Gysis Bruder, was! Jedes Mal in den Nachrichten muss ich auf den Plakaten der Olivenfurzer meinen Namen lesen! Unglaublich sowas! Dagegen muss ich was unternehmen!“
Sie hatte sich in Rage geredet. Für Joachim ein unerhörter Vorgang. Ihre Nasenspitze war gelb vor Wut geworden und wenn ihre nüchterne Redeweise jemals als liebevoll gegolten hatte, war „Mutti“, wie die bekloppte Wählerschaft sie nannte, nun stocksauer. Und sie griff zum Telefon. Wählte aus dem Kurzwahlspeicher. Wartete. Ganz leise hörte Joachim das Rufzeichen, unterbrochen vom wütend-nervösen Auftippen ihrer Klapperlatschen, wie er die Kindergondeln, die seine Frau für Schuhe hielt, nannte.
„Hallo? Kanzleramt? Gut! Hier ist die Chefin. Holen sie den Landrut, aber zügig. Wie? Nein, nicht DIE Meyer-Landrut. Ihren Onkel verdammt, meinen Sprecher für Europapolitik. Richtig, den Nikolaus!“ – Pause – „Wie, der ist nicht da? Was? Nee, nehmen sie ein Protokoll auf. Erstens: Den doofen Schulz anrufen, Hollande und noch ein paar andere. Diese Verunglimpfungen sollen sofort aufhören. Der Martin Schulz soll über die EU verlauten lassen, dass die in Zukunft nur noch Kreide fressen werden, wenn das nicht aufhört. Ansonsten schicke ich den Hellenen Fischer! Oder noch schlimmer: Ich schicke ihnen die Nahles auf den Pelz“
Sprachs, drückte die Aus-Taste und warf das Handy aufs Sofa. Dann sah sie ihn an. Oh je. Den Blick kannte er. Jeden Freitag, wenn die Heute-Show durch war, dasselbe Spektakel. Joachim hatte seit Jahren versucht, sich an diesen Freitagen aus dem Staub zu machen. Stammtisch, Jagdausflug, Keller fegen oder Mondlandung nachspielen, nichts fruchtete. Er bekam ihren Unmut ab. Immer. Und jedes Mal sah sie nachher aus, wie ein gerupftes Huhn. Was Joachims wöchentliches Highlight war, aber auch das würde er ihr nie sagen.
„Und nun?“
„Det reicht nicht, Joachim. Ich muss selber was tun.“
„Und was? Willste eine Gegenbewegung veranstalten?“
Ganz langsam drehte sie sich um. Sah ihn an. Man konnte es in ihrem Physikerhirn rattern sehen.
„Schatz, du bist genial!“
Sie drehte ihre Kindersärge um 180 Grad, stürmte hinter ihren Schreibtisch und kramte ihre Liste heraus. Die Freund-Feind-Liste. Zu Beginn hatte Onkel Helmut noch geholfen, aber mit dem war nichts mehr los. Papa Schäuble fiel aus, weil das Haus hier keine Rampe hatte und der dicke Sigmar, seines Zeichens Chefkomiker der SPD, stank schon bei Gegenwind nach Phlegma. Zwischenzeitlich hatte Sarkozy mitgeholfen, die Liste zu erstellen und auch der Hirnzwerg Oppermann stand bereit. Aber Joachims Gattin hörte ja nicht auf jeden. Zahlreiche Streichungen bekräftigten zudem, dass die Liste ständig aktualisiert wurde. Die Feindesliste war lang. Cameron, Obama, Putin, Gauck und bei Gregor Gysi war ein dreifacher roter Kringel drumherum. Irgendwo fand sich auch ein unauffälliger Name: János Áder. Feind, weil er doch wohl eher ein Diktator denn ein Kapitalist war und zudem Putin treu ergeben. Und gerade gestern hatte sie gehört, dass er zwischen Vladimir und Tsipras eine Achse bilden würde. Oder zumindest unterstützen würde.
„Na warte, Freundchen!“, hörte Joachim seine Frau zischen. Wieder griff sie zum Telefon.
„BND? Ja, die Chefin hier. Geben sie mir den, den, den…“, sie hielt verschwörerisch die Hand vor die Muschel, „wie heißt der Penner vom BND noch?“
„Schindler, Gerhard Schindler.“
„Danke. Ist das der mit der Liste?“
„Nein, der ist schon tot.“
„Ach so.“, warf sie ein, nickte, und führte ihr Gespräch fort.
„Schindler. Holen sie mir den Schindler ran.“ – wieder Pause mit Gondelklackern – „Ja? Herr Schindler? Sagen sie, wie viele Feldagenten haben wir in Budapest? So viele? Ach das ist ja schön. Passen sie auf, wir machen einen Deal. Ich lasse ihre Behörde sauber dastehen im Edathy-Fall und sie schicken ihre Leute los. Ich will „ANGIE“- Plakate und „WIR LIEBEN DICH“- Plakate und „MUTTI-RETTE UNS“-Banner, klar? – wieder Pause – „Herr Schindler… es ist mir vollkommen egal, ob die Steppenscheißer das wollen, oder nicht! Was? Wie, die sprechen doch nur ungarisch? Mir doch egal, s wird da ja wohl ne Volkshochschule geben! Machen sie es einfach!“
Und wieder flog das Telefon hin.
„Schatz?“
„WAS??“
„Reg dich doch nicht so auf.“
„Doch! Da will man immer nur das Beste für das undankbare Pack und die tanzen einem auf der Nase herum. Neenee…“
„Aber Schatz…“
„NENN MICH NICHT SCHATZ!“
„Dann eben nicht.“
Schweigen im Raum. Joachim ist Sauer. Seine Frau auch. Aber sie gibt nach, immerhin hatte sie gefragt.
„Was willstn?“
„Denkst du noch an 2008?“
„Wieso?“
„Da gab es eine tolle Idee, sie nannte sich Konjunkturprogramm 1.“
„Jetzt fang bloß nicht damit an!“
„Doch, immerhin war es mit deine Idee! Es gab massenweise Geld für Beschäftigungsförderung, Finanzierungen für Unternehmen, Verringerung der Verwaltung, Modernisierung von Gebäuden, es gab Gelder für Forschung, Entwicklung, Innovation und Bildung. Das war doch toll!“
„Äh, ja und?“
„Im Januar 2009 kam das nächste Ding: Konjunkturprogramm 2, du erinnerst dich? Ich habe das extra auswendig gelernt, weil es sich so toll angehört hat. Pass auf, lass dir den Satz auf der Zunge zergehen: Pakt für Beschäftigung und Stabilität in Deutschland zur Sicherung der Arbeitsplätze, Stärkung der Wachstumskräfte und Modernisierung des Landes. Das klingt nicht nur richtig, es war auch richtig!“
„Ja du Genie, was willst du mir damit sagen?“
„Ich möchte nur wissen, was das soll? Zweimal haben wir Milliarden von Euro in die Hand genommen, um unser Land mit finanziellen Spritzen zu versehen. Fast ein Drittel der Leute haben ihre alten Krücken abgestoßen, um sich neue Autos zu kaufen. All das ging nur, weil der Staat mit Steuergeldern geholfen hat.“
„WAS WILLST DU SAGEN?“, herrschte sie ihn an.
„Warum sollen die Griechen sich denn kaputtsparen?“
„Die Ziegenhirten haben über 240 Milliarden Euro bekommen! Was soll das Gefasel?“
„Nee Schatz, die Kohle haben die Banken eingesackt und mit der Regierung geteilt. Geholfen haben wir den Banken, nicht dem Volk.“
„Meinste?“
„Aber ja. Und das Volk darfs jetzt ausbaden. Aus dieser Sicht kann ich den Tsipras und sein Pokerspiel schon verstehen.“
„Trotzdem!“