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Geschichtenspiel Teil 35

***ve:
... im Hosenstall,
das sich gewaschen hat.

Na, da suche ich natürlich nicht *nono*

Ev
**********Engel Frau
25.309 Beiträge
Gruppen-Mod 
Steven und Claire (I've got you under my skin)
Claire steht am Fenster, in der einen Hand ein Glas Wein, in der anderen eine Zigarette, und schaut hinaus in die langsam vergehende Nacht. Sie kann noch nicht schlafen und möchte es auch nicht. Zu schön ist dieses wohlige Gefühl, das sie erfüllt. Die Straße ist leer um diese Zeit kurz vor dem Morgengrauen, der fast volle und langsam verblassende Mond wirft ein unwirkliches Licht auf die Bäume des Parks gegenüber. Unwirklich und wunderschön. Ihre Gedanken fliegen durch diesen Anblick hindurch in die Unendlichkeit.

"I've got you under my skin", erklingt im Hintergrund eine sanfte Stimme aus dem Radio. 'Welch schöne Version', denkt Claire, schließt ihre Augen und gibt sich für einen langen Moment diesen Klängen und ihren Gefühlen hin. Ihr Körper wiegt sich zu der Musik und sie genießt ihr Wohlgefühl, ihr Sein in diesem besonderen Nachfühlen.

Wie lange hatte sie Steven schon nicht mehr gesehen? Drei oder vier Jahre? Oder mehr? Sie weiß es nicht. Sie könnte ja nachschauen in ihren Tagebüchern, aber dazu hat sie keine Lust. Sie lebt zeitlos. Schon immer. Wird sie gefragt, wie alt sie ist, muss sie meistens nachrechnen. Ihr Körper und ihr innerstes Fühlen sind in dieser Hinsicht völlig asynchron.

Steven ...

Sie denkt seinen Namen, fühlt ihn, und ein inniges, liebevolles Gefühl erfüllt sie. Vermischt mit einem wohligen Schauer, der ihren Körper in Sekundenschnelle durchzieht. Ja ... es war ein wundervoller Abend, eine wundervolle Nacht.

Claire hat sich keine Gedanken darüber gemacht, wie wohl das Wiedersehen sein würde. Daran gab es für sie keine Zweifel. Ihre Freundschaft ist inzwischen so unkompliziert, so leicht ... sie freute sich einfach darauf und wusste, es wird ein schönes Wiedersehen.

Sie hatten sich vor vielen Jahren auf einer Party kennengelernt. Sie suchten nichts, sie fanden sich. Heute weiß sie, ihre Seelen kennen sich. Seelenverwandt. Ja, sie glaubt an solche Dinge. Und nach langer Zeit ist ihre Freundschaft endlich mit Leichtigkeit erfüllt.

Sie hatten die Zeit der Glückseligkeit, der Leidenschaft und der Freude. Eine wundervolle Zeit. Und sie hatten die Zeit des Streites, der tiefen Verletzungen und des Leidens. Es folgte die Zeit der Gespräche, der Entschuldigungen und des Verzeihens. Und die Zeit der Weisheit. Worauf die verstehende Stille folgte, in der ein- oder zweimal im Jahr ein paar wenige Zeilen genügten. Die Nähe war immer spürbar vorhanden.

Seelenverwandt.

Heute müssen sie sich nicht mehr reinwaschen von wie auch immer gearteten gegenseitigen Verletzungen. Diese sind Vergangenheit. Sie müssen auch nicht mehr flüchten vor unerwünschter Nähe oder angeblicher Un-Freiheit. Sie sind frei. Beide. Im Geiste und im Fühlen. Umso intensiver ist ihre Verbindung.

Claire reißt sich aus ihren Gedanken und geht in die Küche, um sich nochmal das Glas mit Wein zu füllen. Sie kommt am Spiegel im Flur vorbei und bleibt stehen. Da sind sie, seine Spuren, die er hinterlassen hat. Ihr noch immer nackter Körper zeigt deutliche Zeichen seiner Leidenschaft, ihres gemeinsamen Spieles zwischen zart und hart. Sie streicht zärtlich über die zartroten Striemen und denkt an diese innigen und intensiven Momente zurück. 'I've got you under my skin', denkt sie lächelnd.

Zurück im Wohnzimmer, an ihrem Fenster, in dem inzwischen die Morgendämmerung das Bild verändert hat, meldet ihr Handy eine neue Mitteilung. Sie nimmt es in die Hand und liest: "It was wonderful. Next year same time, darling?" Ein sanftes Lächeln umspielt ihre Lippen während sie zurückschreibt, "Yes my sweetheart, next year same time. It will be wonderful."

Inspired by (danke Into ...)


… und einem ganz besonderen Menschen mit einem ganz besonderen Platz in meinem Herzen, dem diese Geschichte gewidmet ist. *g*
Profilbild
****ia Frau
22.263 Beiträge
Ich kann mich so oft waschen, wie ich will, ich kann versuchen, Gutes zu tun, so oft ich will, es hilft nichts: Meine Seele wird nicht rein!

Immer habe ich mir gewünscht, ein wirklich guter Mensch zu sein. Ich wollte gütig sein, wollte gerecht, aber liebevoll sein, wollte andere Menschen respektieren, egal welcher Abstammung sie sind.

In meinen Träumen von mir selbst war ich immer so eine Art „Florence Nightingale der Nächstenliebe“.

Aber leider bin ich nicht so.

Es ist so mühsam, immer lieb und nett zu sein. Es ist in der Tat anstrengend. Zu anstrengend für mich.

Warum ist das so?

Ich erwarte Dankbarkeit. Und diese Dankbarkeit kommt einfach nicht. Egal, was ich versucht habe, an Gutem zu leisten, es stellt sich einfach kein Erfolg in Form von Dank ein. Und darüber ärgere ich mich ungemein.

Meine Dankbarkeitserwartungshaltung ist inzwischen so groß, dass ich vor meinem imaginären Auge sehen kann, wie Freunde auf der Straße vor meiner Hilfsbereitschaft flüchten.

Und allein bei diesem Gedanken fühle ich mich so leer, dass ich die Idee, irgendetwas für irgendjemanden zu tun, im Keim ersticke. Denn ich will mich nicht am Ende mit meiner eigenen Hilfsbereitschaft ersticken.

Also starre ich – anstatt etwas für meine Freunde zu tun – den Baum in meinem Garten an, hinter dem der Mond nicht scheint.

Ich geh mal besser schlafen.
Tataaaaa
Ich freue mich sehr, dass ich Euch die Wörter dieser Woche zur Verfügung stellen darf.

  • Freiheit

  • Bewusstsein

  • Mantel

  • Wandel

  • Abhängigkeit

  • Sog

  • Explosion

  • Streifen


*******tia Mann
5.068 Beiträge
mmmh... wie bekomme ich diese Worte in die Kneipe an meine Männertheke?
Eine Explosion? Das wird was werden....
*zwinker*
Die Abhängigkeit ist wie ein Sog aus dem Bewusstsein, unter dem Mantel der Freiheit, den keine Explosion streifen oder im Wandel der Zeit ändern kann.
*********ynter Frau
9.561 Beiträge
Versuch einer Sagitta-Länge
In aller Freiheit und in vollem Bewusstsein meines Handelns begebe ich mich in die Hände meines Dominanten. Ich streife meine Abhängigkeit von der Meinung anderer Leute ab wie einen Mantel und stehe fortan zu meinem Wandel. Genieße den Sog hinein in diese bizarre Welt. Belohnt wird mein Vertrauen mit der Explosion meines Geistes und seiner Ausdehnung über bisherige moralische Grenzen hinweg in die unendlichen Weiten von Sinnlichkeit, Toleranz und einer unverkrampfteren Sichtweise.
*********ynter Frau
9.561 Beiträge
@ Ev
Ein Zitat, das ich mir merken werde!

*top*
eyes002
******ace Mann
15.955 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
Erkenntnisse
Die Dämonen, die im Schatten des Geistes wandeln, streifen unser Bewusstsein nur, wenn wir schlafend den Mantel der Konvention und der freiheitlichen Abhängigkeit aus dem Sog der Vernunft entlassen. Das Ergebnis wird niemals eine Explosion sein, sondern immer nur ein kleines Bauteil im Wandel der Vernunft.
*********ynter Frau
9.561 Beiträge
@ Ghostface
Noch so ein tolles Zitat!

*bravo*
*********nd_69 Frau
7.369 Beiträge
erster Versuch
„Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“, dachte er. Doch in den letzten Wochen hatte er Erfahrungen gemacht, die sein Bewusstsein grundlegend gewandelt hatten. Diese Kälte machte ihm zu schaffen. Er fror. Wie schön wäre jetzt ein Mantel! Seit ein paar Wochen stand er hier herum, bewegungslos, den starren Blick in die Ferne gerichtet, zusammen mit Hunderten anderen in der Stadt und wartete. Die Umstände waren ungünstig, es war kalt. Draußen und in den Seelen der Spaziergänger, die regelmäßig mit Schildern an ihm vorbei durch die Stadt zogen, von Lustwandeln konnte man dabei aber nicht reden, wenn man die hasserfüllten Gesichter sah.

Diese Abhängigkeit von den äußeren Umständen – er konnte es nicht fassen, dass es so war. Dass er sich nicht dem anscheinend allgemeinen Sog entziehen konnte. Dass er hier stehen musste und nicht weglaufen konnte.

Nicht nur sein Blick war starr, auch die ganze Ausstrahlung war damals, vor ein paar Wochen von einem Moment zum andern erstarrt. Er hatte die Hoffnung verloren. Er musste bleiben.

Wiederum ein paar Wochen später war er nur noch ein Häuflein. Und noch ein paar Wochen später, es war mittlerweile Frühling geworden, sah man nur noch den Schal, den ihm die Kinder umgehängt hatten, als Streifen auf dem Rasen.
*******day Frau
14.250 Beiträge
Plädoyer
Ich nehme mir die Freiheit, bestimmte Fragen nicht zu beantworten. Bitte verwechseln sie das nicht mit der Unfähigkeit, selbiges zu tun. Selbstverständlich könnte ich auf jede Frage eine Antwort geben. Je nach Lust und Laune wäre sie wahr oder unwahr, logisch oder unlogisch, richtig oder falsch, kurz oder lang, hilfreich oder eben nicht.

Tatsache ist jedoch, dass die meisten Menschen nicht fragen, weil sie von der Antwort etwas erwarten. Sie stellen Fragen, weil sie sonst nichts zu tun haben oder weil sie es nicht ertragen, wenn das Grundrauschen, das sie umgibt, einmal aussetzt. Selbst wenn man ihnen antwortet, hören sie nicht oder nur ungenau zu, weil sie im Kopf bereits wieder woanders sind. Ich spreche da übrigens nicht nur von den Höflichkeitsfloskeln der Ausprägung „wie geht es Dir?“, sondern auch von scheinbar interessengeleiteten Fragen.

Da stand also neulich dieser junge Mann vor mir und wischte auf dem Display von seinem elektronischen Spielzeug herum. Er blickte kaum auf und fragte, „ey Alter, wo geht es zum Bahnhof?“ Nun bin ich alles Mögliche, aber kein Alter. Und selbst unter Berücksichtigung des Wandels sämtlicher Höflichkeitsformen seit meiner Jugend und des geschätzten Altersabstands zwischen ihm und mir, ist das keine adäquate Ansprache. Was sollte ich also tun? Ihn darauf hinweisen, dass er mich nicht meinen kann? Nachfragen, warum er meint, ich würde auf so eine Ansprache reagieren? Den Mantel des Schweigens über seine Unhöflichkeit decken und ihm einfach den Weg beschreiben?

Natürlich brauchten meine Überlegungen nicht einen Bruchteil so lang, wie sie jetzt benötigen, um sie zu hören. Vom „Verstehen“ will ich da gar nicht reden. Mein Bewusstsein agiert da wirklich sehr schnell. Ich erkannte schlagartig seine Abhängigkeit von diesem technischen Gerät, griff seinen Arm und zog ihn diskret in die richtige Richtung. Dabei konnte ich einen Blick auf sein Display werfen. Er hatte mitnichten einen Routenplaner für Fußgänger aufgerufen, er tat das, was moderne Zeitgenossen wohl „Mails checken“ nennen. Verständlich, dass er das Hinweisschild zum Bahnhof nicht wahrnehmen konnte.

Wir gingen also Richtung Bahnhof, er wischte und ich lenkte. Offensichtlich war er in einer Art erotischem Zoo gefangen, denn es wimmelte in seinem Postfach von geilen Hasen, süßen Mäusen und heißen Stuten. Sofern mich meine Erinnerung nicht täuscht, waren auch kleine Säue dabei. Er murmelte unentwegt vor sich hin und leckte sich die Lippen. Offenkundig stand er kurz vor einer Explosion seiner virilen Säfte, als er urplötzlich hochsah, mich mit irrem Blick anstierte und fragte, „ey Alter, wer bist denn du?“

In diesem Moment erfasste mich dieser Sog, den ich nur zu gut kenne. Er stammt von Alpha Centauri, genauer gesagt, vom dritten Planeten des dortigen Systems. Es gibt eine intelligente Lebensform auf AC3, die in der Lage ist, jeden von uns in Sekundenbruchteilen anzupeilen und in den Sog hineinzuziehen. Wer sich dagegen wehrt, wird schrecklich leiden. Das musste ich in der Vergangenheit selbst erfahren. Es ist wie bei einem Wasserstrudel. Er saugt dich ein, aber er speit dich auch wieder aus. Alles, was du tun kannst, ist, die Luft lange genug anzuhalten und darauf zu achten, nicht mit dem Kopf gegen die Felsen zu knallen.

Dieser mächtige Sog durchdringt also meine Fibern, Fasern, Fleisch und Blut bis in das letzte Atom, Erkenntnis dringt in mich ein und ich erkenne die höhere Wahrheit, das wahre Wesen dieser fehlgeleiteten Existenz, die nicht einmal zu sagen vermag, wie viele Streifen ein durchschnittlicher deutscher Fußgängerüberweg aufzuweisen hat, um der StVZO zu entsprechen.

Ich wurde auserwählt, ich bin der letzte Kreuzritter gegen die menschliche Dummheit. Ich merze sie aus, wo immer ich ihr begegne. Ich rotte sie aus mit Stumpf und Stiel. Mögen auch andere von Selbstjustiz sprechen, ich blicke ihnen offen ins Auge und sage, „nein! Ich bin nicht der Richter, ich bin das Werkzeug der Wahrheit. Und ich werde jeden vernichten, der dumm genug ist, etwas anderes zu behaupten. Nein! Ich habe nicht den Tod eines Opfers billigend in Kauf genommen, ich habe lediglich aufgeräumt, wo alle anderen versagt haben. Und ich werde weiter aufräumen, so lange, bis es exakt so viele Menschen auf diesem Planeten gibt wie Dinosaurier! Einer muss es ja tun!

© Sylvie2day 25.01.2015
*********nd_69 Frau
7.369 Beiträge
Mist
Ich hab die Explosion vergessen.

*********nd_69:
Und noch ein paar Wochen später, es war mittlerweile Frühling geworden, sah man nur noch den Schal, den ihm die Kinder umgehängt hatten, als Streifen auf dem Rasen.

"es war mittlerweile Frühling und die Kirschblüten waren wie durch eine Explosion nach außen getrieben worden,...."
@Silvie
Da hätte ich gerne ein paar "Danke" mehr geklickt!

*top*
*******day Frau
14.250 Beiträge
Danke Sirona
der schmale Grat eben...
**********Engel Frau
25.309 Beiträge
Gruppen-Mod 
*bravo*
******ier Frau
36.397 Beiträge
Sylvie, klasse Geschichte. *spitze*
*****har Paar
41.021 Beiträge
JOY-Team Gruppen-Mod 
sylvie2day

Einfach nur *top2*

(Der Antaghar)
*******day Frau
14.250 Beiträge
Scheinbar
habe ich es noch nicht verlernt *zwinker*
Ich bedanke mich artig und gerührt bei allen, die den Button für meine Geschichte geklickt haben *knicks*

LG Sylvie *sonne*
*******tia Mann
5.068 Beiträge
Rückenwind
Schön gruselig.
Ein Schneemann, an dem die Pegida-Horden vorbei ziehen?
*******tia Mann
5.068 Beiträge
sylvie
Schönes Plädoyer gegen/für die Generation "headdown"
*******tia Mann
5.068 Beiträge
Wer sich Freiheit durch eine Explosion verschafft, hat den Wandel zum Sog der Abhängigkeit unter dem Deckmantel des Bewusstseins nur vorbeistreifen sehen.


(hahaha, ist das jetzt schön verschwurbelt!)
It´s me!
*********ld63 Frau
8.147 Beiträge
Dämmerung
Als ich die Augen öffnete, breiteten sich goldene Streifen am Himmel vor meinem Fenster aus. Die Sonne kämpfte sich durch träge Wolkenmasse und explodierte in grellen Orangetönen über dem dunklen Wald. Ein Mantel aus zartem Apricot legte sich über dem Horizont. Ich blinzelte hinüber zu den schwarzen Bäumen.

Im Traum hatte ich einem Gespräch gelauscht, das mich zum Thema hatte. Zwei Personen sprachen über mich, besorgt, dabei aber ruhig und sachlich, als sei ich gar nicht anwesend. Ich fischte in meiner Erinnerung nach Details, aber die Szene entzog sich mir.

Als ich nach meinen Schuhen suchte, fiel mein Blick auf den roten Läufer vor meinem Bett, und plötzlich überkam mich eine so starke Sehnsucht nach dem Mann, den ich liebte, dass mir das Herz wehtat. Ich hielt in meiner Bewegung inne, und spürte, wie mir die Tränen in die Augen traten.

Wie er mich ansehen konnte mit diesem undurchdringlichen Blick, glatt wie die Oberfläche eines Binnensees, dunkel und seltsam unbewegt an der Oberfläche.
Ich spürte den Sog, der mich wieder einfing, sah mich mit einer Abhängigkeit konfrontiert, in der ich bewegungsunfähig zu erstarren drohte.

In den letzten Monaten hatten wir uns immer seltener gesehen.
Ganzheitliche Entwicklung, sagte er, sei wichtiger als persönliche Bindungen.

Es liegt ganz bei dir, du hast die Wahl, sagte er zum Abschied.
Wenn wir in unseren Herzen miteinander verbunden sind, können gesellschaftlicher Wandel, räumliche Distanz und die Zeit uns nichts anhaben.
Liebe ist ein Kind der Freiheit.

Das Salz meiner Tränen schmeckte bitter.
Ich öffnete die Augen.
Die Sonne war hinter den Bäumen verschwunden, Dunkelheit breitete sich aus.
Ich richtete mein Bewusstsein in meine Füße, und umarmte mich selbst.
Das löst gerade etwas in mir aus. *snief*
*******tia Mann
5.068 Beiträge
Stereotypisches Thekenmännergespräch (Part 6)
Bonnie und Clyde

Es war einer dieser Tage, an denen man alles in Frage stellen kann. Auf dem Weg zu Helgas Kneipe zweifelte ich daran, ob ich da wirklich rein wollte.
„Ich könnte ja auch mal wieder in die Stadt fahren. Andere Gesichter, alte Bekannte, interessantere Gespräche, schöne Frauen …“, dachte ich mir. Aber da war das Problem mit dem Fahren. Ich würde es nicht schaffen, mich an die gesetzlichen Promillewerte zu halten, wenn ich mit dem Auto in die Stadt kurvte. Darum doch lieber zu Fuß zu Helga. Auf alle Fälle billiger und würde mir eine unangenehme Begegnung mit einem Streifenwagen ersparen.

Es gab noch einen Grund, einfach zuhause zu bleiben: Den Kater der letzten Nacht, die kotzend unter der Dorflinde in Begleitung des ebenso besoffenen Bürgermeisters geendet war, konnte ich nicht ignorieren. Ich fühlte mich alt. Müde. Leer. Ausgelaugt.
Andererseits gab es was zu feiern. Die Besprechung im Rathaus war sehr erfolgreich verlaufen. Die zukünftigen Aufträge würden mir endlich finanzielle Freiheiten verschaffen. Ich konnte den Wandel meines Bankkontos von rot zu schwarz, von tief zu hoch, von knietief im Dispo zu beruhigendem Guthaben schon fühlen. Dafür sollte ich zumindest Helga und dem stummen Olli, meinem treuen Tresenfreunden, eine Runde spendieren. Oder auch zwei.

Ich hängte meinen schwarzen Mantel an einen freien Haken der Garderobe und nahm auf meinem Hocker Platz. Wie immer am Tresen rechts neben Olli.
Olli: „Jo“.
Helga: „Weizen?“
Ich nicke kurz: „Und dann noch eine Runde für uns drei. Ramazotti, Wildsautropfen, Birne. Was ihr wollt!“
Olli: „Wildsau“.
Er wollte gar nicht wissen, warum ich was spendierte.
Helga war da schon neugieriger: „Gibt es was zu feiern, Peter?“
„Kannst mir gratulieren. Ich habe einen guten Job von der Gemeinde bekommen. Für die nächsten Monate oder Jahre sorgenfrei!“
„Na dann, Glückwunsch. Trinken wir alle einen Wildsautropfen drauf!“
Wir stießen an, kippten uns das Gesöff in die Rachen und stellten die Gläser ab.
„Jo“, sagte Olli.
„Keine Angst vor zu viel Abhängigkeit von dem hinterhältigen Pack im Gemeinderat?“, fragte mich Helga.
„Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Aber wer ist schon unabhängig? Die Angestellten sind es von ihren Chefs, die Hausfrauen von ihren Männern und ich bin eben abhängig von meinen Auftraggebern. Damit muss man wohl leben. Friss oder stirb. Mach noch eine Runde Wildsau!“

In dem Moment, in dem wir die Gläser erneut ansetzten, öffnete sich die Tür, die direkt in meinem Blickfeld quer über den Tresen lag. Ihr Anblick war wie eine Explosion der Sinne. Paula. Wie lange war das her? Damals auf dem Schulhof. Trotzdem erkannte ich sie sofort. Ihre Erscheinung wirkte wie ein Sog auf meine komplette Wahrnehmung – und leider auch auf meine Koordination. Als sich unsere Blicke trafen, schütte ich mir das Schnapsglas so ungeschickt in Richtung Mund, dass mehr vom hochprozentigen Inhalt in meinem Gesicht und auf meinem Hemd landete, als die paar Tropfen, die meinen Rachen erreichten und mich zu einem kolossalen Hustenanfall reizten. Man sollte halt nicht vor Schreck einatmen, wenn man einen Schnaps schlucken will.

„Na super“, knurrte ich, „tolle Vorstellung für eine alte Jugendliebe!“
Paula winkte kurz zu uns herüber, als sich die Tür erneut öffnete und ein Mann eintrat. Ihre Augen blitzen mich kurz an. Was war das für ein Blick? Eine Warnung? Ein Zeichen? Eine Frage? Eine Bitte? Die alte Koketterie?

„Helga, schön Dich mal wieder zu sehen“, flötete Paula fröhlich. „Hast Du noch einen Tisch für meinen Mann und mich?“
Klar, ihr Mann. Sie hatte sich scheinbar den Richtigen geangelt. Seine Erscheinung war beeindruckend. Gepflegte Frisur, gepflegte Haut, glatt rasiert. Eine edle, aber schlichte Markenbrille auf der Nase. Die Kleidung nicht auffällig, aber so, dass man mit einem Blick erkennen konnte: Die Sachen sind nicht vom NKD. Helga schnappte sich zwei Speisekarten und führte das Paar zu einem kleinen Tisch hinter dem rustikalen Kachelofen, wo ich sie nicht mehr weiter beobachten konnte.

Erinnerungen drängten sich in mein Bewusstsein. Paula und ich. Wir waren ein tolles Gespann, von der Grundschule bis zur Abschlussklasse der Realschule. Ständig waren wir zusammen unterwegs. Zogen erst über die Spielplätze, dann durch die Wälder, später durch die Straßen, Kneipen und Discos der umliegenden Städte. Bevor sie wegzog, um das Abitur an einer Fachakademie zu machen, kam es endlich zu einer heftigen Knutscherei. Ein bisschen Gefummel auch. Mehr nicht. Dann war sie weg. Das warme, kribbelnde Gefühl kam wieder in mir hoch. Seltsam, wie viel bleibenden Eindruck so eine jugendliche Schulhofknutscherei hinterlassen kann.

Helga kam zurück: „Sind auf Besuch bei ihrer Mutter. Ihr Vater wird es nicht mehr lange machen.“
„Wer?“, fragte ich scheinbar gleichgültig.
„Na, Paula und ihr Mann. Ich dachte dich interessiert das. War da nicht mal was mit Euch? Euch hat man doch früher nur im Doppelpack gesehen. Bonnie und Clyde der Dorfstraßen …“, schmunzelte Helga.
„Ach das, lange her, wir waren jung und dumm“, versuchte ich meine Erregung herunterzuspielen.
„Jo!“, kommentierte der stumme Olli, und fügte nach einer kurzen Gedankenpause hinzu: „Und dumm bist Du immer noch.“
„Danke, Olli. Du baust mich so richtig auf.“

Wir tranken dann noch eine Runde, der zweite Schnaps war sowieso auf meinem Hemd verdunstet. Drei Bier später, und nach einigem Palaver mit wechselnden Thekenbesuchern, verließen Paula und ihr Mann Helgas Kneipe. Im Vorbeigehen warf mir Paula noch einen kurzen Blick zu. Mit diesem Lächeln wie damals. Leicht asymmetrisch, die Augen blitzten dabei frech zwischen ihren schwarzen Locken, die heute kürzer waren, aber noch genauso ungezähmt wie damals. Die wenigen grauen Strähnen machten sie kaum älter, sie strahlte immer noch Vitalität, Frische und vor allem diese sinnliche Frechheit wie damals aus. Ich winkte ihr lächelnd zu. Mehr nicht. Dann war sie weg. Ich sackte innerlich in mir zusammen.

Olli war zwar ein stummer Fisch, aber ein gute Beobachter. Er klopfte mir auf die Schulter:
„Warte mal ab. Glückliche Paare sehen anders aus als die beiden.“
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