Stereotypisches Thekenmännergespräch (Part 5)
MONDKOTZE
Der Mond stand strahlend hell am Himmel, als wir durch die Tür von Helgas Kneipe nach draußen in die kalte, klare Winterluft torkelten. Wir, das waren der Bürgermeister und ich. Allerdings war ich so blau, dass ich, hin und wieder, zwei oder drei Bürgermeister vor mir sah. Klar, er hatte einen Zwillingsbruder, aber der war doch gar nicht dabei? Oder hatte er heimlich seine ganze Familie zum Saufen mitgebracht?
Wir hielten uns fest, denn ich war auf der Treppe ausgerutscht. Er blickte in den klaren Winterhimmel und lallte:
„Kein Wuu-uu-uunder, die Trinkersonne-ne-ee lacht!“
„Eeeegal“, bemühte ich meine schwere Zunge, „alle Gläscher schind leer, wir gehn jetscht heim un drinke noch e Schöppsche!“
Wir waren vor etwa zwei Stunden ins Gespräch gekommen, es fühlte sich aber an, als wären wir schon den ganzen Tag bei Helga. Manchmal lohnt es sich doch, an der Männertheke zu sitzen. Seit heute hatte ich einen lukrativen Auftrag von der Gemeindeverwaltung in der Tasche. Texte, Marketing, Grafiken, solche Sachen eben. So genau wusste ich das nicht mehr, aber es würde mir bei der offiziellen Besprechung morgen im Rathaus schon wieder einfallen.
„Du weischt gar net, wie mir die G-ge-gemeinneräte auf den Sack gehen“, brummelte der Bürgermeister drauf los.
„Die wollen sich alle nur waschen, aber nicht nass machen!“
Der Satz strengte ihn sehr an. Er beendete ihn mit einem brummenden, zischenden Geräusch, etwa so:
„Bbbrrrmmmschisch-hupp“.
Vielleicht war das aber auch nur seine Verdauung.
Mir zog es mittlerweile die Füße unter dem Boden weg. Oder über den Boden. Ach nein, es zieht einem doch den Boden unter den Füßen weg? Jedenfalls konnte ich kaum noch laufen. Der alte Baum auf dem Dorfplatz wanderte von rechts nach links, wollte der etwa vor uns flüchten?
Ich stutzte: „Sch-sch-schau, die Dorflinde will zur Helga!“ Kaum ausgesprochen, wurde mir schlagartig klar, dass nicht der Baum von rechts nach links rannte, sondern ich mich von links nach rechts drehte. In dem Moment fiel ich bereits auf die Knie, um mir die Seele aus dem Leib zu kotzen.
Dem Bürgermeister ging es scheinbar nicht besser. Während ich fassungslos in den braun verfärbten Schnee starrte, hörte ich ihn fluchen:
„Oh schööönes Schnitzel, bleib doch drin!“
Dem Satz folgte ein würgendes, dann ein platschendes Geräusch, und nach einem Stöhnen trat Stille ein.
Ich wollte nicht mehr hoch. Ich wollte hier auf den Knien bleiben und die Ruhe genießen. Einfach wegtreten. Ich war bereit für Träume, die sich in dieser Sekunde im Hinterkopf materialisierten, und an die ich mich morgen niemals werden erinnern können:
Eine wohlgeformte Frau mit großen, festen Brüsten, die sich unter einem leichten, wehenden Gewand abzeichneten, kam auf einem Schlitten stehend, gezogen von sechs Schimmeln mit wehenden Mähnen, auf mich zugerast. Ihr langes, lockiges Haar wehte wie Feuerzungen im Fahrtwind, rot leuchtend und wild. Sie brachte den großen König-Ludwig-Schlitten mit einem „Hoooo“-Ruf zum stehen, stieg ab, kam mir mit dem Gesicht ganz nahe, blickte mir in die Augen – und verwandelte sich in meine alte, faltige Mutter ohne Zähne, die keifend den Mund öffnete:
„Peter, du sollst nicht so viel saufen!“
Ich erwachte schlagartig und stieß mit einem Stöhnen erschrocken die Luft aus. Jemand tätschelte mir liebevoll den Rücken:
„Peter, du so-solltescht nicht so viel saufen“, krächzte der Bürgermeister mit einem Schuss Ironie, „besser wir lassen den Absacker sausen und gehen ins Bett.“
Er zog mich hoch und ich setzte mich dankbar in Bewegung.
Es ist echt harte Arbeit, auf dem Dorf an Aufträge zu kommen.
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Musik dazu: