Wenn ein Land das Lachen verliert
Was haben wir früher gelacht. Nichts war blöd genug, um einen Witz darüber zu reißen. Heute wird nicht mehr gelacht, nur noch gemacht. Ernst ist die Macht!Mit den Kindern fing es an. Hänseleien im Kindergarten wurden pädagogisch unterbunden. „Nein Torben, das ist nicht lustig, wenn der Jenny das Pausenbrot herunter fällt!“ Pippi Langstrumpf wurde umgeschrieben, weil darin das Wort „Neger“ vorkam. Der „Spatz vom Walraff-Platz“ war schon längst ausgeflogen. Dafür gab es ein Kinderprogramm, in dem gekämpft wurde. In dem es ständig Probleme gab, die gelöst wurden. Friede, Freude, Eierkuchen.
Die Anforderungen in den Schulen wurden so weit hochgeschraubt, dass keine Zeit mehr blieb, Witze zu erzählen. Fußballspiele mussten gewonnen werden, Tennisstunden absolviert und im Ballettunterricht gibt es sowieso nie was zu lachen. Das ist harte Arbeit und bereitet auf das Leben vor. Ein Computer-Spiel, in dem von Level zu Level mehr gelacht wird, habe ich bisher noch nie gesehen.
Früher lachten die Menschen über Dinge, vor denen sie Angst hatten oder die ihnen unbekannt waren. Oder die sie sich nicht erklären konnten. Wer erinnert sich noch an Ostfriesen-Witze? Polen-Witze? Blondinen-Witze? Wer aber lacht über Flüchtlinge, Asylanten, Salafisten? Das ist nicht erlaubt. Erlaubt sind aber Demonstrationen, wo sich vor allem jene treffen, die ihre Angst vor dem, was sie gar nicht kennen, auf die Straße bringen dürfen. Je fremder, desto Angst. Es wird empfohlen, die Leute ernst zu nehmen. Wehe, wenn einer lacht.
Die Erwachsenen lachen nicht mehr über sich selber. Zwar wünschen sich viele Kontaktsuchende Frauen im Internet einen Mann, der über sich selbst lachen kann, sich nicht so ernst nimmt. Aber sobald er schallend lacht, weil ihn sein Chef ein Arschloch genannt hat, werden sie stutzig. Ein ernstzunehmender Familienvater und Ernährer hat nichts zu lachen. Selbstkritik und Leichtigkeit konterkariert Männlichkeit. Der ist dann einfach nicht mehr ernst zu nehmen. Das macht Angst, wenn er sich selbst nicht ernst nimmt.
Im Fernsehen gab es Ekel Alfred. Die gesamte Republik lachte über die spießige Kleinfamilie. Da konnten alle mitlachen, das war eine klar definierte Zielgruppe. Diese Zielgruppe ist heute verloren gegangen. Die klassische Kleinfamilie gibt es nicht mehr. Über die wenigen, verbliebenen Exemplare zu lachen – wem soll dass Spaß machen? Heute gibt es Filme und Serien über Patchwork-Familien oder Alleinerziehende. Die werden aber nicht durch den medialen Kakao gezogen, die werden zu Helden. Der Zuschauer heult vor Rührung, zu Lachen gibt es da nichts.
In der Politik wurde die „political correctness“ erfunden. Heute schaut keiner mehr die Debatten im Bundestag. Manche erinnern sich noch daran, was dass früher in Bonn für Schlammschlachten waren. Roten Socken und Gesocks, Schmeißfliegen und Arschlöcher im Bundestag. Das hatte Unterhaltungswert und schaffte Meinungen. Es brachte Schwung in Streitigkeiten, die letztlich doch zu Entscheidungen führten.
In Berlin wird nicht mehr gelacht. Es gibt nichts zu lachen, denn es wird auch nichts mehr gemacht. Mutti schläfert alle ein mit ihrem gütigen Lächeln, welches dem Volk sagen soll: Alles ist gut! Es gibt keinen Grund zur Sorge! Es gibt nichts zu Lachen!
Am Stammtisch könnte man über eine Maut für Ausländer lachen. Entweder aus dumpfer Freude darüber, dass die Holländer jetzt endlich auch dafür zahlen, wenn sie mit ihren Wohnwägen über unsere Autobahnen schleichen. Dass wir bei den Holländern auch nichts zahlen, spielt keine Rolle – und Franzosen, bei denen man tatsächlich zahlen muss, kommen sowieso nur wenige mit dem eigenen Auto. Die wollen die Stoßdämpfer ihrer schönen Peugeots nicht auf schlechten, deutschen Straßen ruinieren. Also endlich mal aus reiner Schadenfreude lachen. Würde man in deutscher Bierseeligkeit gerne, wenn man nicht ahnen würde, dass man selbst mit abgezockt wird. Die Geld-zurück-Garantie für Inländer glaubt kein Mensch. Dafür sind der humorlose Knauser im Rollstuhl und die schwäbische Hausfrau viel zu geizig.
Bleibt das anspruchsvolle, politische Kabarett. Ja, hier werden endlich Wahrheiten gesagt. Hier darf man Sachen sagen, die sich sonst niemand wagt, zu äußern. Ein Weckruf gegen die Schläfrigkeit einer Politik ohne Opposition. Das Dumme: Die Lage ist mittlerweile so ernst, dass dem geneigten Zuschauer das Lachen im Hals stecken bleibt. Weil er merkt, dass er selbst Mitschuld an der Misere trägt. Weil er merkt, das keiner mehr weiß, wer eigentlich die Macht hat. Weil er merkt, das wir auf eine Sackgasse zurasen, ohne auf die Bremse zu treten.
Als ich ein Kind war, waren wir oft auf uns alleine gestellt. Wir verliefen uns im Wald und heulten nicht. Wir waren zusammen, wir lachten zusammen. Das lachen half, die Ängste zu kompensieren. Wir lachten, bis wir den Weg fanden.
Als Jugendlicher machten wir zum ersten Mal Urlaub ohne Eltern. Fahrrad, Zelt, Campingplätze. Wir hatten natürlich Angst. Oder Ehrfurcht. Waren gespannt. Ein Abenteuer. Es ging so viel schief, doch ein Lachen rettete jede Situation.
Wenn heute jemand in vermeintlich unpassenden Situation lacht, erntet er böse Blitze und wird gefragt: „Warum lachst Du?“ Damit ist das Lachen vorbei, denn ein befreiendes Lachen zu begründen, tötet jeden heilsamen Humor. Kinder müssen heute nicht mehr gegen die Angst anlachen. Sie zücken ihr Handy und rufen die Eltern an.
Was, wenn ein großer, bunter Clown die Weltbühne betritt? Mit einem einzigen Lachen kann er die Welt erobern. Alle werden sie ihm folgen, weil sie die humorlose Orientierungslosigkeit satt haben. Er braucht kein Programm, keine ernst zu nehmenden Lösungen. Er muss nur den Menschen das Lachen zurück geben.
Ich lache gern. Trotz allem. Aber Clowns mochte ich nie.