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Ich sammle Erinnerungen

Ich sammle Erinnerungen
Fünf Tage Urlaub. Endlich einmal Zeit, um wieder Kräfte zu sammeln. Was tue ich statt dessen? Ich breche mein Wort. Naja, dann ist der Virus also tatsächlich stärker alles andere *zwinker*

Ich sammle Erinnerungen

Meiner Energie ist niemand gewachsen. Das war schon immer so. Ein Geschenk meiner Eltern und ich bin ganz sicher nicht böse darüber. Dem bebrillten Oberamtsrat im Bauamt ließ ich sie heute Morgen mitten in sein wichtiges Gesicht springen - wieder einmal. Zwei Stunden Kampf, dessen Ausgang bereits vorher feststand, dann waren alle Verträge unterschrieben.

Mein Blick gleitet über die restaurierten Fassaden der alten Fachwerkhäuser am jenseitigen Ufer des Pfaffenteichs. Bald wird eine weitere hinzukommen - meine Energie, gegossen in Mörtel, geformt in Stein - etwas wird bleiben von mir in dieser Stadt. Wir haben es richtig gemacht damals, als wir ihnen den Soli gaben. Sie haben es richtig gemacht, als sie ihn uns in Form von Aufträgen zurückgaben und nicht nur ihre Ämter und Behörden ausbauten. Ich habe es richtig gemacht, als ich, wie so viele andere, auf den Osten gesetzt habe.

Ich mag die Menschen hier. Sie sind bescheiden bis anspruchslos, zuverlässig und fleißig. Gute Arbeiter. Ich habe einige von ihnen in meine Firma geholt und ihnen Arbeit gegeben. Und sie haben schöne Frauen, die auch noch zwanzig Jahre nach der Wende immer für eine Überraschung im Bett gut sind. Ihnen fehlt nur der Mut, es auch zu tun. Aber sie sind lernfähig. Wie Andrea.

Dreißig Jahre in der muffigen DDR, drei Jahre bis zur Chefsekretärin bei mir, drei Monate, um mir aufzufallen und drei Tage, bis sie begriffen hatte, wie sie die Dienstboten zu behandeln hatte und das Tennis und Golf wesentlich mehr Spaß machen als aus meinen Diktaten Geschäftsbriefe zu formen.
Sie hat sich schnell eingefunden in die Rolle als Frau des Chefs. Jetzt genießt sie die beringte Freiheit, die ich ihr endlich geschenkt habe. Soll sie auch. Sie hat sie sich verdient, genau so wie ich mir ihr Mona-Lisa-Lächeln, wenn ich nach Hause komme. Doch nicht heute.

Heute ist wieder mein „Schwerin-Tag“. Erst die Geschäfte und dann das Vergnügen. Es ist kurz vor zwei und das Kaffee füllt sich langsam. Ein Insekt schwirrt an mir vorbei, mein Blick folgt ihm argwöhnisch, doch es ist keine Biene. Das Baugeschäft ist ein hartes Brot und ich habe viele Konkurrenten überlebt. Doch der winzige Stachel eines solchen geflügelten Monsters hätte vor Jahren fast das geschafft, was einige gerne hätten - mich zu töten. Zum Glück gab es damals bereits Notfallsets für Hyperallergiker wie mich. Verstohlen taste ich in meiner Brusttasche nach der Spritze.

Die Frau trägt ein mitternachtsblaues Kostüm, das gut genug geschnitten ist, um eine Figur, die einmal atemberaubend gewesen sein musste, zur Geltung zu bringen. Sie hält ihre Handtasche vor den Körper. Natürlich tut sie das. Es ist eine Schutzgeste, tief aus ihrem Unterbewusstsein. Sie ist unsicher und lässt ihren Blick unter gesenkten Wimpern durch den Raum wandern, er stockt eine Zehntelsekunde auf mir, dann entscheidet sie sich für einen freien Tisch, nicht weit entfernt. Es ist keine Überraschung, dass sie sich so setzt, dass sie mich beobachten kann.

Sie weiß es noch nicht, aber sie ist meinetwegen hier. Deswegen hat sie ihr bestes Kostüm angezogen und ihr teuerstes Parfüm aufgelegt. Ihr Mann wird sich gegen siebzehn Uhr aus seinem Chefsessel im Amt, einem Büro oder sonst wo hiefen, dann wird er Tennis spielen oder ins Fitnesscenter gehen. Er tut es nicht mehr für sie - die Zeit, in der ihn interessierte, was sie über seinen Körper denkt, ist längst vorbei und so weiß er eigentlich nicht, warum er es überhaupt tut. Sie wird gegen zwanzig Uhr von ihren Freundinnen nach Hause kommen, ihn flüchtig auf die Wange küssen und das war es. Eine ganz normale Ehe.

Doch es war einmal anders und das ist der Grund, warum sie am frühen Nachmittag in ihrem besten Kostüm hier in diesem Kaffee sitzt. Sie wurde einmal begehrt, wahrscheinlich sogar geliebt und etwas in ihr kann sich nicht damit abfinden, dass es vorbei sein soll, für immer.
Frauen wie sie gibt es wie Bernstein an der Ostsee und man muss sich nur nach ihnen bücken, um eine schöne Erinnerung zu haben. Es ist der Grund, warum ich hier sitze, immer, wenn mich meine Geschäfte nach Schwerin führen - wie auch in jede andere Stadt. Ich sammle solche Erinnerungen. Sie stehen mir zu, denn das Leben besteht nicht nur aus Arbeit.

Mein gut gewählter Platz mit der Wand im Rücken und neben dem Durchgang für das Personal wird sie bald zwingen, einen zweiten Blick auf mich zu werfen. Das wird über eine halb erhobene Kaffeetasse hinweg geschehen, vielleicht auch über den verzuckerten Rand eines Cocktailglases, verstohlen, in der Hoffnung, ich würde ihn nicht bemerken. Das glaubt sie tatsächlich. Dabei wünscht ihr Unterbewusstsein nichts sehnlicher, als das ich genau das tue - sie bemerken und ihr zeigen, dass sie wichtig genug für mich ist.

Ein Caipirinha kommt für sie und wenig später ihr zweiter Blick für mich. Meiner ruht einen Sekundenbruchteil auf ihr, dann blicke ich aus dem Fenster. Sie ist nicht aufregend genug, signalisiere ich ihrem Unterbewusstsein und zwinge es so zum Handeln.
Irritiert blickt sie sich im Kaffee um. Sie weiß nicht, wie es weiter geht - ihr Verlangen schon. In wenigen Minuten werden der Alkohol und ihr Unterbewusstsein einen Weg gefunden haben. Sie wird mir einen dritten Blick zuwerfen, direkter diesmal und zuvor wird sie ihre Sitzposition verändert haben. Entweder wird sie die Beine übereinanderschlagen oder sie wird sich eine Winzigkeit zu mir drehen.
Nicht so, dass es einem Beobachter auffallen würde, aber deutlich genug für mich, der ich weiß, auf was ich zu achten habe. Dann wird alles sehr schnell gehen und mit ein wenig Glück kann ich heute Abend noch nach Hamburg zurückfahren. Andrea wird sich freuen, wenn ich einmal auf einer Geschäftsreise nicht über Nacht bleibe. Nicht, dass es wichtig wäre - nur einfacher.

Ihr dritter Blick kommt und dreißig Sekunden später sitze ich an ihrem Tisch. Sie hat sehr schöne, gepflegte Hände mit einem auffallenden Ring und langen, perlmuttfarben lackierten Nägeln - die gleiche Farbe, die auch das Innenfutter meines Anzugs hat. Ein guter Anknüpfungspunkt. Die Unsicherheit in ihrem Blick weicht der Bewunderung, als ich ihr von der Londoner Savile Row erzähle und dass dort das Schneiderhandwerk noch wirklich goldenen Boden hat - genau wie die Hotels hier in der Touristenhochburg Schwerin. Ob sie als Schwerinerin schon einmal in einem Schweriner Hotel übernachtet hat?
Mein Schwenk überrascht sie, doch nicht ihr Unterbewusstsein. Es hat schon lange begriffen, in welche Richtung die Reise geht und während ihr Kopf die Hand sich zornig um das Glas krampfen lässt, rötet das Verlangen ihre Wangen.

Es ist Zeit, ihre Hand zu nehmen. Warm ist sie, fast heiß und samtweich und zum ersten Mal ruht ihr Blick voll bewusst auf mir. Eine Frage ist in ihren Augen und ich beantworte sie. Natürlich will ich mit ihr schlafen. Sie weiß es doch seit dem Moment, als ich an diesen Tisch kam. Hätte es dafür einen anderen denkbaren Grund geben können? Warum wäre sie sonst hier?
Wieder diese Gehemmtheit in ihren Augen, aber dann siegt das Verlangen und statt Unsicherheit steht plötzlich Entschlossenheit in ihnen. Sie hat sich entschieden, rutscht zu mir herum, lehnt sich mit ihrem duftenden Haar an mich und fährt mir mit langen Nägeln unter dem Anzugsakko über die Brust.

So etwas mag ich nicht in der Öffentlichkeit. Ich fasse ihre Schultern und drücke sie zurück. Sie seufzt und das mag ich noch viel weniger. Gefühlsduselei, eine typische Frauenreaktion. Ich will so etwas nicht, ich will eine Erinnerung - und sie wird in wenigen Stunden eine sein. Eine schöne, da bin ich mir sicher, bei diesem Körper.
Sie zuckt die Schultern und strafft sich.
Gut so. Sie hat mich verstanden. Oder doch nicht? Ihr Blick fesselt meine Augen und etwas ist darin, das da nicht hingehört. Etwas Böses. Was soll das? Der Böse in diesem Spiel war schon immer ich, es hat mich nie gestört und was andere Leute über mich denken, interessiert mich nicht.
Sie greift nach meiner Hand und legt sie mit einem leisen Lächeln über ihre. Was soll das? Ich ziehe meine Hand weg und winke damit nach der Kellnerin. Ein kurzer Schmerz in der Handfläche erregt meine Aufmerksamkeit. Habe ich mich an ihrem seltsamen Ring verletzt? Ich schaue auf meine Handfläche, aber da ist nichts außer einem winzigen Blutstropfen.

Natürlich erscheint die Bedienung sofort und es wird Zeit, ins Hotel zu gehen. Doch mir wird plötzlich heiß und etwas macht mir den Hals so eng, dass ich kaum Luft bekomme. Alles verschwimmt um mich herum wie in einem Nebel und ich weiß, was das ist. Hat mich doch eine Biene erwischt. Aber wieso habe ich das nicht bemerkt? Ich taste nach der Spritze in meiner Brusttasche, sie wird mich retten. Aber da ist keine.
Die Frau schaut mich an wie ein seltenes Insekt. Warum tut sie das, statt mir zu helfen? Dann setzt sich eine zweite Frau zu ihr. Sie sieht aus wie Andrea. Und während ich verzweifelt nach Luft ringe und weiß, dass ich sie nie mehr bekommen werde, packt Andrea die Frau im mitternachtsblauen Kostüm zärtlich im Nacken, küsst sie hart und lange auf den Mund und ihre Augen brennen dabei mit vernichtendem Feuer in meinen.
Bekommt man wirklich immer alles zurück im Leben?

Wenn ich so in meiner "Erinnerungenkiste" krame, dann trifft das zu.

Und du, lieber Christjan, verstehst es, Worte so zu platzieren, dass sie einen treffen, mitten in' s Herz.

Danke für diese Erfahrung.

LG

Tom
Ich hätte nicht gedacht, dass ich es einmal toll finden würde, wenn jemand sein Wort bricht. *g*
*********ynter Frau
9.574 Beiträge
Wenn du zum Weibe gehst, vergiss...
dein Antiallergikum nicht! sehr frei nach Nietzsche

ich will eine Erinnerung - und sie wird in wenigen Stunden eine sein.

So viel zum Thema, niemals die Frauen zu unterschätzen!

Mir gefällt die Geschichte trotz des betont kühlen Protagonisten und des analytischen Tons. Alles ist kühl an ihm, vor allem sein Umgang mit den zu Hause ungeliebten Frauen, die sich auf ihn einlassen. Er will nur eine Erinnerung, keine Gefühle, keine zärtliche Geste. Er benutzt die Frauen nur, gefühlos und kalt, für eine Erinnerung.

Auch das Ende ist überraschend und wohlverdient! *zwinker*.
******nde Frau
362 Beiträge
Oh sooo eine bitterböse Geschichte - und genial erzählt!

Danke für diese Geschichte!
Mein lieber Scholli ...

da hat der Protagonist aber seine Lektion bekommen ...

Gut und spannend erzählt, aber was kann mensch auch von dir anderes erwarten.


*bravo*
**********Engel Frau
25.321 Beiträge
Gruppen-Mod 
Wow - klasse!! *bravo*

Ich liebe es, wenn Dich "der Virus" packt. *ggg*

Heyeyey... Frauen können ja schon gemein sein, gell. *zwinker*
*******ose Frau
793 Beiträge
Hach, eine gute Geschichte hab ich gebraucht an diesem ungemütlichen Morgen. Danke dafür - sehr fesselnd geschrieben, feine Beobachtungen, überraschendes und verdientes Ende für diesen A**** Werde jetzt mit diesem Gefühl der Genugtuung an die Arbeit gehen *zwinker*
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