Mit einem Hopser setzte die Maschine auf und ich wurde wieder wach.
Endlich wieder in Deutschland. Wie hatte ich mich danach gesehnt, in der Heimat eine deutsche Weihnacht zu feiern. Wie lange habe ich das schon entbehren müssen.
>Bitte warten Sie mit dem Abschnallen, bis die Maschine ihren …<
aber das war schon nicht mehr zu verstehen, denn lautes Beifallklatschen der Passagiere übertönte die Ansage. Aber keiner richtete sich danach. Die meisten hatten sich schon abgeschnallt, standen schon auf, und öffneten die Klappen um ihr Gepäck heraus zu nehmen. Lediglich die Passagiere an den Fenstern hatten es nicht so eilig. Sie konnten erst mit geneigtem Kopf aufstehen, wenn alle anderen schon ihren Platz geräumt hatten. Ich saß noch eingeklemmt auf meinem Platz, konnte mich nicht rühren, weil mein Nebenmann sich so breit gemacht hatte.
Die Maschine rollte noch etwas und stand endlich an ihrem Platz. Alle standen im Gang und warteten, dass die Schleuse endlich an die Maschine gefahren wurde damit jeder aussteigen konnten. Es war soweit, die Tür wurde geöffnet und der Gang leerte sich zügig. Jetzt mit schnellem Schritt zum Band um den Koffer entgegen zu nehmen, also einfach mit dem Menschenstrom mitschwimmen.
Wo ist die Tafel mit der Anzeige? Ach ja, dort ist ja das Band. Nun heißt es warten, denn das Gepäck muss erst ausgeladen – und auf das Band umgeladen werden.
Wie gut haben es die Menschen, die nur mit kleinem Handgepäck reisen. Ob sie sich auch auf Weihnachten freuen, so wie ich? Ich bin schon ganz hippelig, ob mich jemand abholt? Ach, geht ja nicht, es weiß ja niemand von meiner Heimkehr. Aber jetzt heißt es erst einmal aufpassen, dass meine Koffer nicht ein zweites Mal die Runde machen.
Nun stehe ich hier schon eine halbe Stunde und sehe die Koffer an mir vorbei gleiten. Die Menschen sind aber auch so rücksichtslos. Dauernd werde ich zur Seite gedrängt und geschubst, aber ich brauch doch auch meine Koffer. Und dann der Krach, es ist kaum auszuhalten, aber Weihnachtslieder höre ich nicht. Habe ich mich denn im Datum geirrt?
Das Band wird leerer und leerer, jetzt sind es nur noch vereinzelte Gepäckstücke, aber meine Koffer sind nicht zu sehen. Was jetzt, das Band steht still und nur ein Gepäckstück ist noch zu sehen, aber nicht meine Koffer. Auch haben sich die Mitreisenden aus der Halle entfernt, ich sehe nur in einiger Entfernung eine andere Menschentraube an einem weiteren Band. Ob ich an einem falschen Band gestanden habe? An einem Band von einer anderen Maschine? Also schnell zu diesem Band laufen. Doch auch hier ist mein Gepäck nicht zu sehen. Auch hier werde ich dauernd geschubst. Lasst mich doch endlich in Ruhe. Ob jemand mit meinem Gepäck nach Hause gegangen ist? Was mache ich denn nun? Ich habe in meiner Tasche doch nur das, was ich im Flieger brauche.
Müde und enttäuscht würde ich am liebsten heulen. Und dabei hatte ich es mir so schön ausgemalt. Ich drehe mich zum Ausgang, denn ich muss es melden, ich will meine Koffer wieder haben. Aber es geht nicht so wie ich es will. Jemand hält mich fest als ich durch die Schleuse gehen will. Der Zollbeamte hält mich auf:
>Wo haben sie ihr Gepäck?<
>Es ist weg, nicht mitgekommen, was weiß ich!< will ich ihn barsch anschreien, aber es geht nicht. Ich bekomme keinen Ton raus.
>Sie wollen uns doch nicht weiß machen, dass sie ihr Gepäck hier verloren haben?< schnauzt er mich an. >Sie befinden sich in Deutschland, und hier kommt nichts weg. Also raus mit der Sprache!<
Jetzt fange ich wirklich zu heulen an, meine Nerven fahren Schlittschuh mit mir, ich kann nicht mehr. Ist das die Heimat auf die ich mich gefreut habe? Ist das der Ton der an Weihnachten hier herrscht? Das war doch früher anders, oder habe ich das nur in meiner Erinnerung so?
>Öffnen sie ihre Handtasche und schütten sie alles auf dieses Tablett!<
Wortlos öffne ich alle Fächer und schütte es auf das Tablett. Er starrt darauf und fängt an zu grinsen. Geben sie mir ihren Pass, ich kläre das hier und hier haben sie ein zweites, und fangen sie erst einmal an zu sortieren.
Mit rotem Kopf fange ich an. Peinlich, peinlich, denn was da zum Vorschein kam sollte kein Mann je sehen. Zahnpasta und Lippenstift, Tampons und Tempo, Zahnbürste und drei Slips, Fotos von meinen Reisen, das Handy und der Akku, zwei Geldbörsen, zwei Haarbürsten, drei Taschentücher, meinen Talisman, vier Stifte, Tabletten gegen Reiseübelkeit und gegen meine Kopfschmerzen, ein Paar Sandalen, fünf Frischhaltetücher, meine Büchse mit der Apfelresten, meinen leeren Becher von dem Tee, ein Paar Socken und ein Schlüsselbund, mein Buch und meine Notizzettel, einen Beutel mit Schmuck. Die Tasche ist leer und alles auf den Tabletts ordentlich geschichtet.
Als er nach einer Ewigkeit zurück kommt ist er schon viel freundlicher.
>Ich konnte es klären. Ihr Gepäck ist auf ihrem Abflughafen stehen geblieben.“<
>Und nun, was soll, was kann ich machen?“ will ich gerade fragen, da spricht er schon weiter:
>Ihr Gepäck kommt mit der nächsten Maschine mit. Solange müssen sie sich schon noch gedulden.<
Ich versuche verzweifelt ihm zu erklären, da höre ich:
>Morgen Abend. Die Koffer werden gerade eingeladen.<
In diesem Moment ertönt ein schnarrendes Geräusch. Der Zollbeamte sieht mich an:
>Ich dachte, sie haben A L L E S auf dem Tablett ausgebreitet?<
Ja, hatte ich auch, muss sich wohl in einer Ecke der Tasche versteckt haben.
>Na, dann holen sie es einmal heraus<
>Ach, das ist nur ein Spielzeug< will ich sagen, aber wieder kommt kein Laut aus meinem Mund.
>Ich möchte es sehen, oder soll ich es selber heraus holen?<
Mit rotem Kopf und zitternden Händen lege ich den Beutel auf eines der Tabletts.
>Bitte öffnen sie den Beutel<
>Ich sagte doch schon, es ist ein Spielzeug< versuche ich ihm klar zu machen.
>Ich weiß, dass sie es sagen wollten. Ich bin nicht blöd. Ich möchte es trotzdem sehen!<
Also öffne ich den Beutel und hole den Gegenstand heraus.
Mit großen Augen sieht er mich an: >Spielzeug sagten sie?<
Ich versuche zu nicken und will meinen Kopf wegdrehen, aber es gelingt mir nicht. Ich will hier weg, weg von diesem Mann, der dauernd mit mir reden will, der mich dauernd Dinge fragt die ich nicht beantworten kann. Warum begreift er es denn nicht. Jetzt fasst er mich auch noch an.
Doch er hakt mich nur unter und hält mich fest als wir zum Ausgang gehen. Dunkel ist es hier draußen, und kalt. Gut, er legt mir eine Decke um, schön warm ist sie und so wärmt sie mich gut. Kaum beleuchtet ist alles, wo geht er mit mir denn hin? Ich will ihn fragen, aber er legt mir den Finger auf den Mund. Niemand ist auf der Straße zu sehen. Nur einzelne Laternen brennen. Wie lange laufen wir schon? Ich habe kein Zeitgefühl mehr, ich bin nur noch müde und möchte am liebsten schlafen. Da höre ich wieder seine Stimme:
>Wir sind gleich da, nur noch diese Straße entlang gehen, da hinten ist schon das Licht. Können sie es sehen? Schauen sie, da oben im Haus, da müssen wir hin. Schauen sie, machen sie die Augen auf, nein, nicht mehr schlafen. Wenn sie die Augen aufmachen, dann sehen sie das beleuchtete Fenster. Ein Stern ist am Fenster zu sehen< höre ich ihn sagen. >Weihnachten ist zwar vorbei, aber der Stern soll ihnen den Weg weisen.<
Ich versuche ja die Augen zu öffnen, warum merkt er das nicht? Es ist so schwer, ich will den Stern doch auch sehen, aber noch sehe ich ihn nicht. Alles ist so dunkel, und nun will er, dass ich mich umdrehe. Warum das denn, ob ich es dann sehen kann? Warum nimmt er mir jetzt wieder den Mantel weg? Mir ist so kalt, hach, nun trägt er mich auf seinen Armen ins Haus. Warum macht er das denn? Ja, schön warm ist es hier, ich muss versuchen die Augen auf zu machen, ich will den Stern doch sehen. Was ist das für ein Geräusch? Da singt ja jemand, das Lied das kenne ich doch. Wie geht der Text:
Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost was kommen mag…
Ich kann schon ein bisschen blinzeln, wo bin ich denn? Da ist ja der Stern und da ist ja die Familie, ich kann sie sehen.
„Mutter, komm mal schnell her! Sie hat die Augen geöffnet, schaut uns an!“
„Kannst du uns verstehen, kannst du uns hören?“
Ich nicke und sehe sie alle an meinem Bett stehen.
„Jetzt ist es nicht mehr schlimm, dass Weihnachten vorbei ist, feiern wir eben ein neues Jahr.
Lasst uns zusammen singen:
Von guten Mächten treu und still umgeben,
Behütet und getröstet wunderbar,
So will ich diese Tage mit euch leben
Und mit euch gehen in ein neues Jahr.“