F220“ Kapitel 9b „Überraschung“
„Multisexuelle Priesterhure!“ Wie kann es diese widerliche Kreatur nur wagen, mich so zu titulieren! Ausgerechnet mich – die doch alle Reinigungsriten unter der persönlichen Aufsicht des Predigers erfolgreich durchlaufen hat und die jede geschlechtliche Vereinigung gemäß seinen Regeln ablehnt!
Nicht so wie dieses schwache Fleisch Claudia, die in selten schwachen Momenten sich sehnsuchtsvoll an die vibrationsinduzierten Orgasmen erinnert, die ihr einst ihr „Zauberstab“ in Ausübung ihrer ehelichen Pflicht verschaffte.
Wie sehr ich diesen Sünder hasse und wie sehr ich die Nähe meines gütigen Mentors vermisse. Am liebsten würde ich Sünders gotteslästerliche Zunge aus seinem Gaumen reißen!
Doch, wenn ich jetzt bocke, dann wird es nie etwas mit der nötigen Bewegungsfreiheit um die Aktion „Schleich-dich-in-sein-Vertrauen-bis-er-unvorsichtig- wird-und-dann-schlag-gnadenlos-zu“ zu starten und meine Mission erfolgreich zu beenden.
Er provoziert mich absichtlich! Das ist wieder eine seiner Fallen, elender Klumpen Schleim, aber nicht mit mir! Ich werde mit der Bestie heulen, doch diesen Spruch wird er mir büßen!
Mein Mund lächelt mit zusammengebissenen Zähnen. Eine Waffe - allein das Gefühl - wieder kalten Stahl, in meinen Händen zu spüren! Einen kurzen Moment bin ich in der Versuchung einfach auf den Sünder anzulegen und abzudrücken, doch ich beherrsche mich, denn es wäre schlicht und ergreifend unter meiner Würde.
Ich pflege meine Vollstreckungen genussvoll und fast sinnlich zu zelebrieren. Dieser Tod wäre nicht nur zu einfach sondern auch viel zu schnell für die Sünden der Kreatur. Meine Wangen glühen und mein Gesicht strahlt, weil ich endlich tun darf, was ich am besten kann – nämlich kämpfen, die Oberhand gewinnen und Sünder vor das Angesicht Gottes schicken!
Sein Gesichtsausdruck ist weniger enthusiastisch, um es nett zu formulieren.
Er traut mir nicht, und das mit Recht - aber er muss – ob er will oder nicht! Allein wird er es gegen die Übermacht der Angreifer nicht schaffen. Zudem muss ich ihn mit meiner Feuerlöscher-Aktion schwerer verletzt haben, als gedacht - sicher seine Rippen - so schmerzverzerrt wie er schaut.
Obwohl er sich sehr anstrengt, es zu übertünchen. Doch meine, schon immer guten Instinkte, kann er nicht täuschen.
„Schleich dich von hinten über die Rampe an die Lagerhalle heran“, weist er mich an, „dort hast du mehr Deckung vor dem Turm-Feuer. Denk dran, drei bis vier Sekunden bevor die Geschütze auslösen! Ich komme von vorn und dann treffen wir uns drinnen und machen mit vereinten Kräften die Bande fertig, ok?“
Ist da leichte Besorgnis in seiner Stimme? Hat er etwa Zweifel daran, dass ich es schaffe? Oh Sünder, du hast ja keine Ahnung, welch ein hartes Ausbildungsprogramm ich durchlaufen habe, ich bin die beste der „sieben Sterne“ und, dass ist jetzt nicht übertrieben oder angeberisch. Nicht umsonst trage ich die Nr. Eins.
„Viel Glück!“ ergänzt er verhalten, es klingt fast wie ein Abschied.
Die Claudia in mir schluckt einen Kloß hinunter, während Judith wortlos nickt und die Tür öffnet.
Ich spähe mit geschultem Blick über das Gelände, präge mir die Details meines Weges ein, jeden Müllcontainer, jede Wand, die Deckung bietet und jedes Hindernis, über das ich stolpern könnte. Dann sprinte ich los, diffundiere mit der Dunkelheit, werde eins mit ihr.
Lautlos und mich immer im Schatten einer Deckung zu den Türmen haltend, sprinte oder robbe ich je nach Lage über das Gelände. Einige Zeit später ist die Halle mit den Rampen in Sicht, nur noch eine mit Gestrüpp bedeckte Brache trennt mich von dem Ziel.
So weit so gut. Es ist auch kein Angreifer in Sicht. Diese freie Fläche kommt mir bekannt vor, schlich hier nicht gestern dieses verdammte Madame-Viech herum?
Ich ducke mich und beginne sehr vorsichtig und konzentriert durch das Unkraut zu robben, dabei ignoriere ich Spinnenfäden in meinem Gesicht und über mich krabbelndes Insektengetier, die fiesen Stacheln der Disteln und der Brennnesseln und unterdrücke den Niesreiz, als mich Blütenpollen quälend in der Nase kitzeln.
Das beinharte Training des Predigers zahlt sich aus, ich bin eine tödliche Waffe auf zwei Beinen in einem mit Teflon beschichteten Körper.
Nichts und niemand kann und wird mich aufhalten!
Mein Hände ertasten beim kriechen dicht über dem Boden etwas Vertrautes: Mein Rucksack! Ich habe ihn gefunden!
Am liebsten würde ich vor Freude laut aufschreien.
Vorsichtig und leise ziehe ich den Reißverschluss auf und taste nach meinem Karambit. Ich halte es in meiner Hand, fühle die starre Lederhülle, die die metallene gebogene Klinge, welche an eine Raptorenkralle erinnert und auch genauso tödlich ist, verbirgt!
Ich kann nicht widerstehen, mein kleiner Finger schlüpft durch den Metallring am Ende des Griffs und meine übrigen Finger legen sich fast zärtlich in die vorgesehenen Vertiefungen. Der Daumen obenauf streichelt es sanft und die Schneide wirft das gleißende Licht des Vollmonds kurz auf meine triumphierend lächelnden Lippen.
Ich hauche einen Kuss auf die Seitenfläche der kalten Klinge und drücke es kurz an mein Herz.
Oh Baby – wie sehr hab ich dich vermisst!
Zuversicht durchströmt mich, ich werde meine Mission erfüllen, vielleicht sogar noch heute, dann könnte ich gefahrlos zum Prediger zurückkehren, ich wäre noch im Rahmen der Zeit.
Ich sichere die Klinge wieder und lasse das Karambit in einer der vielen Klettverschlusstaschen an meiner Hose verschwinden.
Bald Mannteufel zerren dich die wehrhaften Erzengel, vor deren Füße ich dich stoßen werde, vor den Thron des höchsten Herrn!
Ich erreiche die Rampe, schleiche über sie ins Innere und sehe vier der Angreifer, die sich an Ersatzteilen und Ausrüstung zu schaffen machen. Meine scharfen Augen scannen den Raum. Sind noch mehr Angreifer hier und wo ist der Sünder?
Ich spähe aus meinem Versteck und entdecke seinen Schatten gegenüber von meiner Position. Sein Gesicht taucht aus dem Dunkeln auf, er blickt fast erleichtert in meine Richtung und hält drei Finger vor sein Gesicht.
Ich verstehe und nicke, er zählt rückwärts. Bei „Eins“ stürmt er, „Banzai!“ schreiend, aus seinem Versteck und ich stürze mich - den Überraschungsmoment nutzend – aufsehenerregend wie eine Raubkatze von hinten auf den Angreifer, der mir in meiner unmittelbaren Nähe den Rücken zudreht und nocke ihn, mit einem gezielten seitlichen Schlag auf sein Kinn, aus.
Es kracht als hätte ich ihm den Kiefer gebrochen. Es kümmert mich nicht! Was der Sünder macht, sehe ich nicht, aber auch sein am nächsten stehender Gegner liegt wehrlos am Boden.
Two Togo! Ein Riesenkerl mit wildem Rauschebart läuft auf mich zu und will mich mit seinen Prankenhänden packen. So wie er mich anschaut, erwartet er das volle Kampfprogramm und stellt sich innerlich darauf ein, ich sehe es in seinen Augen.
In Sekundenbruchteilen wäge ich ab. Im Nahkampf hätte ich in meinem geschwächten Zustand sicher keine Chance gegen diesen Bär von einem Kerl. Ich muss ihn direkt mit meinen ersten Schlag zu Fall bringen, sonst habe ich verloren.
Mein Vorteil ist, dass ich total fit und durchtrainiert bin. Mein Killerinstinkt übernimmt und mein Körper spult die kommenden Bewegungen fast mechanisch ab. Mit einem schnellen hohen Sprung mit halber Pirouette, einem “Mawashi Geri” und passendem Schrei trete ich dem Bären mit der harten Sohle meiner Stiefel gegen die Schläfe.
Das hat er nicht erwartet, keine Gegenmaßnahmen ergriffen, denn er fällt wie ein Sack zu Boden. Den Rest gebe ich ihm mit einem gezielten Schlag gegen seinen Solar Plexus.
Auch Sünders letzter Gegner liegt erschlafft am Boden. Sünder ist auf Adrenalin und in Hochstimmung, strahlt dabei wie ein frisch geputzter Dreckeimer. Frenetisch lobt er meine effektive Kampftechnik und faselt etwas von toller Teamarbeit.
Im Team mit dem Sünder? Jede Zelle meines Körpers windet sich in Ekel. Allein die Vorstellung, dass der Prediger diesen Umstand erfahren könnte, lässt mich grausen.
Das ehemals sicher peinlich aufgeräumte Lager sieht aus wie nach einem Asteroideneinschlag. Aus den Schränken und Kisten wurde alles Mögliche an Ausrüstungsgegenständen, EPa`s, Obstkonserven, Dosenfleisch sowie allerlei Ersatzteilen achtlos herausgerissen und liegt nun überall verstreut herum.
Wir benötigen etwas, um diese Angreifer zu fesseln, solange sie noch wie die Engelchen schlummern. Doch müssen sie genügend Bewegungsfreiheit haben, um mit uns kriechend die Distanz zu unserem Gebäude zu überwinden. Mit was denn nur?
In diesem gigantischen Durcheinander entdecken wir einige Seile - das ist die Lösung!
Sünder beginnt, den Angreifern die Seile um ihren Bauch zu winden und sie wie Luftballons an einer Schnur miteinander zu verknoten. Nicht schön, aber selten.
Ich checke zur Sicherheit ihre Hosentasche und voilà – fördere ich einige fiese Waffen zu Tage, Klappmesser, eine Pistole und einen Lexanbohrer.
Zuletzt schütte ich einen Eimer Wasser über ihnen aus, damit sie aus ihren Schläfchen erwachen und gemeinsam treiben wir sie mit unseren Waffen im Anschlag auf die Beine. Wir geben ihnen zu verstehen, wohin sie in breiter Front zu kriechen haben und folgen ihnen, die Läufe auf sie gerichtet.
Ich habe ihnen angedroht, ihnen die Eier abzuschneiden, wenn sie sich auf dem Weg auch nur einmal mucksen. Der Sünder hat dabei ein strenges Gesicht zustande gebracht, obwohl er sich lieber vor Lachen ausgeschüttet hätte. Doch hat es gewirkt! Sie halten mich für die Fiesere von uns beiden und haben Angst vor mir.
Judith genießt es.
Das war ja fast zu einfach, denke ich bei mir.
Irgendwie sind Thomas und ich ein ziemlich gutes Team! funkt Claudia dazwischen.
Schnauze Claudia, verzieh dich in den letzten Winkel meines Körpers, sonst lasse ich dich leiden! Mit der Pestilenz kooperiert man nicht! knurrt Judith lautlos.
Wir erreichen gerade die Rückseite des Stützpunktes, die vor dem Geschützfeuer der Türme sicher ist, als uns das Sirren und die Einschläge eines wahren Pfeilhagels um uns herum aufs Höchste alarmiert.
„Los durchs Fenster, Beeilung!“ befiehlt die Kreatur und wir springen auf unsere Füße.
Die vier Zusammengebundenen agieren gezwungenermaßen langsamer. Mit gezücktem Messer (
Ist das etwa eins von meinen?) schneidet Sünder die Seile durch und treibt die Gefangenen zur Eile an, während ich das Ganze mit Waffe im Anschlag sichere, als das Sirren in meine Richtung immer bedrohlicher wird.
Meine feinen Härchen stellen sich ob der unsichtbaren Bedrohung auf und, als ich mich instinktiv ducken will, bricht der Sünder hinter mir wie in Zeitlupe in sich zusammen. Erschrocken registriere ich einen gewaltigen schwarzen Pfeil, der unterhalb seiner Schulter steckt.
„Nein!“ schreien Judith und Claudia gleichzeitig, allerdings jede aus einem anderen Beweggrund.
Ich fasse es nicht, er hat den Pfeil, der für mich bestimmt und sicher tödlich gewesen wäre, mit seinem Körper abgefangen.
Er hat mich beschützt! Warum?
Seit wann retten Teufel Leben?
Ist er tot?
Ich gehe in die Hocke und greife nach seinem Puls, während ich die Pistole auf die vier Typen richte ohne sie aus den Augen zu lassen. Er ist schwach, aber vorhanden, er lebt. Er hat MICH gerettet, MICH – seinen schlimmsten Alptraum!
Judith übernimmt sofort mit eiskalter Routine das Kommando und Claudia ist dankbar dafür. Zum überhaupt allerersten Mal lässt Claudia sie ohne Gegenwehr agieren, denn Judith weiß nun, was zu tun ist!
Zuerst muss ich die Gefangenen einsperren, bevor ich den Sünder retten kann. Ich brülle dem Typ mit dem dick geschwollenen Kinn zu, er solle die Kabelbinder aus Thomas Hosentasche nehmen und dem Bären die Daumen vor der Brust zusammenbinden.
Dann den Arm des nächsten durch den Arm des Bären fädeln und wieder die Daumen binden und so weiter wie beim Luftmaschen häkeln, nur viel schneller!
Den Kinn-Typ übernehme ich. Das Ganze dauert nur wenige Sekunden, während weitere Pfeile um uns herum einschlagen.
Ich treibe sie so gefesselt in das Innere, ziehe nochmal die Kabelbinder nach und siehe da, es war noch Spiel – jetzt nicht mehr!
Schließe die Tür hinter mir ab und renne geduckt zurück zum Sünder.
Jetzt ist höchste Eile geboten, denn nicht nur Sünder, ähm Thomas braucht meine sofortige Hilfe, ich kann auch die Typen nicht so lange derart gefesselt lassen, weil ihnen sonst die Daumen absterben. Eigentlich ist Judith das egal, aber Claudia flüstert: „ Vielleicht sind sie noch von Nutzen?“
Der Pfeilhagel hat nachgelassen. Da liegt er, noch immer bewusstlos.
Er blutet und dieses Mistvieh von einer Katze steht mit dem Kopf über seinen gebeugt, über ihm, und schnüffelt oder leckt an ihm.
Die wird ihn doch nicht fressen wollen?
Gerade zücke ich die Waffe und lege auf sie an, als ich sehe, wie sie über sein Gesicht leckt. Ich senke die Waffe.
Nein, fressen will sie ihn wohl nicht – aber was …? Verdammt, mir kommen die Tränen, die Rührung übermannt mich, dieses wilde Tier liebkost Thomas mit seiner rauen Zunge, der eben zu sich kommt und die Augen aufschlägt.
Er flüstert mit schwacher und schmerzverzerrter Stimme:
„Ist ja gut Madamchen, Thomas ist wieder da, so schnell kriegen mich diese Stinkstiefel nicht kaputt. By the way, du brauchst ein TicTac…so wie du aus dem Halse stinkst, mein Kätzchen“.
Er tastet schwach mit der Hand nach seiner Wunde mit dem Pfeil, stöhnt und streichelt dann über ihr Fell. Er versucht sich aufzurichten und fragt sich wohl eher selbst, wo denn der verdammte Racheengel (
damit meint er wohl mich) steckt. Dann sieht er mehr von mir als ihm liebt ist.
Madame faucht unvermittelt, krümmt ihren Rücken und setzt zu einem Sprung an. Sünder, Thomas sieht mich mit meinem Karambit auf ihn zu rennen, seine Pupillen weiten sich in Überraschung.
„Scheiße!“ ruft er aus, tastet hektisch nach seiner Waffe, als er sie nicht findet, registriere ich so etwas wie
Ich ergebe mich Schlampe, du hast gewonnen! in seinem Blick.
Madame sprintet los, doch nicht in meine Richtung, sie vollzieht eine 90 Grad-Wende in Richtung des Brachlandes. Eben flüchten tapsend und maunzend ihre kleinen Kätzchen aus dem hohen Unkraut, von einem weiteren Angreifer aufgeschreckt.
Sie springt ihn frontal an und bringt ihn zu Fall, ehe er reagieren kann. Ich lasse meinen verdutzten Retter links liegen, obwohl mich einen sehr kurzen Moment lang, der Gedanke streift, dass jetzt eine tolle Gelegenheit wäre, die Mission zu Ende zubringen.
Stattdessen renne ich dem Katzenvieh hinterher und werfe mich mit so viel Schwung auf meine Knie, dass ich auf dem matschigen Untergrund noch eine Stück weiter rutsche, den Typen packe, ihm die scharfe gebogene Klinge an den Hals setze und eigentlich vorhabe, kurzen Prozess mit ihm zu machen.
„CLAUDIA – STOPP!“ ruft Thomas, „er könnte nützlich sein!“
„Ich heiße Judith!“ schreie ich trotzig.
Ein Blutstropfen umschmeichelt die Messerspitze. Der Typ liegt da wie vom Donner gerührt. Er ist so überrascht, dass es ihm die Sprache verschlägt. Weitere Tropfen rotten sich zusammen, bilden einen kleinen Kreis, der schließlich den Gesetzen der Schwerkraft gehorchend, in einem dünnen Faden den Hals herunter rinnt.
Ganz still und bewegungslos vor Angst liegt er. Sein heftiger Atem hebt und senkt hektisch seinen Brustkorb auf und nieder.
„Nein, du bist Claudia! Hörst du – C-L-A-U-D-I-A- ist dein Name!
Bekämpfe die andere Seele in deiner Brust, leiste Widerstand! Du bist nicht so wie Judith! Du hast Mitgefühl, du bist ein Mensch, du bist nicht SIE!
Verschon ihn, bitte, CLAUDIA, töte ihn nicht, wir werden ihn noch brauchen!
Denk nach, dann weißt du, dass ich Recht habe!“ stöhnt Thomas mit letzter Kraft und taucht erneut in die erlösende Schwärze der Bewusstlosigkeit ein.
Judith und Claudia ringen in ihrem Inneren miteinander. Ich fluche unanständig.
„Na schön, du Mistkerl, auf die Beine mit dir, nur eine falsche Bewegung und du bist Geschichte, kapiert?!“
Er nickt stumm.
„Ab mit dir Madame! Kümmere dich um deine Kleinen und – gut gemacht!“ lobt die fifty/fifty-Mischung aus Judith und Claudia den Ozelot streichelnd.
Schnurrend entfernt sie sich mit ihren Kleinen ins Dickicht des Unkrauts.
„Los, trag ihn ins Lazarett, aber schnell.“
Als Thomas bleich vor mir auf der Liege liegt, denke ich nur noch daran, wie ich ihn retten kann.
Judith schwächelt, sie kämpft mit sich. Die Mission muss erfüllt werden gegen er hat dich selbstlos gerettet, er war bereit, sein Leben für dich zu opfern. Das kann nicht Sünde sein! Der Prediger hat sich womöglich in ihm getäuscht?
“ Ich kann das, ich schaffe das und ich will es!“ bekräftigt Claudia.
Ich breche den größten Teil des Pfeils ab. Da es sich fieser Weise um einen Jagdpfeil handelt, kann ich ihn wegen der Widerhaken an der Spitze nicht einfach aus seinem Körper herausziehen. Ich würde meinen Retter noch schlimmer verletzen. Improvisation ist jetzt und hier gefragt, denn ich bin kein medizinisches Personal, und Claudia konnte früher nicht mal Blut sehen, ohne dass ihr kotzübel wurde.
Zum Glück hat sie Judith wieder tatkräftig an ihrer Seite.
Ich laufe zu wahrer Hochform auf. In scharfem Ton weise ich den Typen an, sich gefälligst nützlich zu machen:
“Dreh ihn auf die Seite und halte ihn gut fest, während ich euren Scheißpfeil aus seinem Körper hole! Ich warne dich, wenn ich merke, dass du dich nicht genügend anstrengst oder irgendwelche Tricks abziehst, dann ramme ich dir das Ding anschließend in deinen Arsch!”
Mein Gesamtbild aus Entschlossenheit, Mimik und der Waffe in meiner Hand überzeugt ihn davon, dass ich es bitterernst meine und ergeben nickt er, gehorcht wie ihm befohlen.
Suchend blicke ich mich mit einem Auge in dem Lazarettzimmer um, ich bräuchte so eine Art Hammer. Da hier aber keiner offen herumliegt und ich weder Zeit noch Muse zum Suchen habe, greife ich mir eine Packung steriler Kompressen, ein Desinfektionsmittel und eine der Edelstahl-Nierenschalen auf der Ablage.
In der Hoffnung, dass letzteres ein deutsches Qualitätsprodukt ist, hole ich tief Luft und schlage mit dem Schalenboden entschlossen und, so fest ich kann, gegen das Pfeilende.
Thomas erwacht und schreit wie am Spieß, als sich die Pfeilspitze schmerzhaft ihren Weg durch sein Fleisch bohrt.
Claudia schüttelt sich, die ganze Aktion geht ihr durch Mark und Bein, sie hat solches Mitleid mit dem armen Thomas und ist von lähmender Angst erfüllt, aber nur für Bruchteile von Sekunden.
Die Pfeilspitze tritt aus seinem Rücken heraus und mit einem Ruck ziehe ich den Rest aus seinem Körper. Sünder, Retter, Thomas blutet stark, wimmert und krümmt sich, doch, wenn der Herr es so entscheidet, dann wird er überleben.
„Stell dich nicht so an!“ herrsche ich ihn an, „bist du ein Mann oder ein kleines Mädchen?“
Zur Antwort kommt nur ein Stöhnen. Ungerührt nehme ich die Flasche „Braunol“ und übergieße damit die Wunden. Wieder wimmern und klappernde Zähne zusammen beißen.
“ Drück die Kompressen feste auf die Wunden, sonst…”, belle ich entschieden in Richtung meines unfreiwilligen Helfers.
“Jaja, ich weiß, sonst rammst du mir den Pfeil ungespitzt in meinen Allerwertesten, das sagtest du schon”, ergänzt er meinen Satz mit einer gehörigen Portion Zynismus durchsetzt mit tiefer Seelenqual im Ton.
Ich ziehe erstaunt meine Augenbraue hoch - ganz schön frech der Typ!
Na warte, so redet man nicht mit einer Vollstreckerin, du wirst schon sehen, was du davon hast, du Wurm! Ich werde dir schon sehr bald eine Lektion in Sachen Demut erteilen. Doch erst gibt es wichtigeres zu erledigen.
Thomas ist erneut selig hinter den Vorhang einer gnädigen Ohnmacht geschlüpft.
Ist auch besser so! denke ich während ich Nadel und Faden zur Hand nehme.
…
Thomas schlägt langsam seine Augen auf, starrt erst an die Decke und dann ungläubig zu mir. Ich sitze lässig mit übereinander geschlagenen Beinen auf einem Stuhl an seiner Seite.
Wir blicken uns direkt in die Augen, Erstaunen und ein wenig Unverständnis liegen in seinem Blick, so als könne er sich nicht erklären, warum er noch lebt.
Dann bemerkt er einen weiteren Umstand, der seine angespannten Gesichtszüge in ein Grinsen transformiert.
Der Typ kniet mit verbundenem Hals, in devoter Haltung mit gesenktem Kopf und wie ein Rollbraten bewegungslos in Seile verschnürt, brav neben mir.
Das Seilende halte ich in einer Hand, die Waffe in der anderen.
Ich bin sehr zufrieden mit mir!