Gar seltsame Laute drangen aus dem windschiefen Häuschen am Ende der Straße.
Es hörte sich an als würde die menschenscheue alte Dame mit dem Buckel und der dicken Warze auf der Nase mit einem Chemiebaukasten für Erwachsene spielen. Es knallte, zischte und schallte durch die Stille des heiligen Frühabends und merkwürdige Gerüche mischten sich in die kalte klare Dezemberluft.
Die Dorfgemeinschaft rümpfte ihre Nasen und schüttelte strafend ihre Köpfe. Schon lange war dieses uralte Mütterchen ihnen allen ein Dorn im Auge.
Zwar hatten nur wenige der Nachbarn sie jemals beim Einkaufen oder anderweitig gesehen, geschweige denn kannten sie sie persönlich.
Stets hatte die alte Dame, die noch nicht so lang hier wohnte, näheren Kontakt vermieden und sich bislang nie an irgendwelchen Aktivitäten der Dorfgemeinschaft beteiligt. Das war höchst verdächtig!
Wilde Gerüchte über das geheimnisvolle Treiben der Alten machten schon länger die Runde im Dörfchen. Hinter vorgehaltener Hand wurde geflüstert, dass die Cousine der Frau des Ortsvorstehers im Tante Emma Laden gehört haben wollte wie das Mütterchen ungewöhnliche Kräuter bestellt hätte.
Ein älterer Herr mit Lodenhut und Dackel behauptete, sie zur Herbstzeit im Wald beim Fliegenpilzsammeln von weitem gesehen zu haben.
Eine dritte aufrechte Bürgerin behauptete gar, die verschrobene Alte sei auf ihrem Besen in der Walpurgisnacht mit lautem Gelächter durch die Lüfte geritten. Sie schwor es beim Allmächtigen, das sie es mit eigenen Augen gesehen habe.
Fliegenpilze, Besen, eine steinalte, seltsame und äußerst unattraktive Frau, die niemand so recht kannte, das konnte doch nur eine Hexe sein!
Verschwinden sollte sie! Dies war ein anständiges Dörfchen!
Doch wie sollten die Dorfbewohner eine Hexe loswerden? Schließlich musste man ja befürchten, verzaubert zu werden. Die wenigen kritischen Einwohner wurden einfach überstimmt, so war das eben in einer Demokratie.
Die Dorfgemeinschaft im „Dorfkrug“ war ratlos. Man beschloss äußerste Vorsicht walten zu lassen. Es wurde beraten und festgeschrieben, gleich nach Weihnachten einen einschlägig bekannten Kerl aus der nächsten Stadt zu engagieren, der für sein kerniges Strafregister bekannt war.
Er sollte, die Hexe mit allem - was dazu nötig sei - „überreden“, zu verschwinden. Wenn sie denn ihn verhexte, dann traf es zumindest keinen Unschuldigen, so der perfide Plan der anständigen Leute, und niemand käme auf die Idee, wer der Urheber dieser üblen Machenschaft sein könnte.
Auf die Verschwiegenheit unter einander konnte man sich schließlich verlassen!
Quietschend drehte sich die Tür in ihren Angeln und ein eisiger Wind fegte durch die Gaststube. Wie versteinert standen sie alle und schauten die Alte ungläubig an, die freundlich lächelnd in der Tür stand, dabei ein ungepflegtes Gebiss zwischen ihren schmalen Lippen entblößte. Totenstille.
Nur der Nordwind sang sein eisiges Lied. Schneeflocken stoben durch das Zimmer und bedeckten in einer dünnen Schicht den steinernen Boden.
„Liebe Nachbarn“, erhob die hässliche Alte eine bemerkenswert klare und melodische Stimme, „schon lange wollte ich Sie alle einmal zu mir bitten, um Sie alle kennenzulernen. Ich fand, die frühen Abendstunden des Christfestes seien dazu der richtige Anlass. Ich habe Glühwein und Trüffelpralinen, alles selbstgemacht, sowie für alle ein Geschenk.
Darf ich Sie bitte in meine bescheidene Hütte bitten?“.
Sie drehte sich um, wartete eine Antwort der verschreckten Bürger nicht ab, und schlurfte mit schweren Schritten hinaus in die Nacht.
Betroffen blickten sich alle an. Du lieber Himmel! Was hatten sie sich nur alle gedacht? Wie könnte dieses nette Mütterchen nur eine Hexe sein? So ein Blödsinn! Sicher gab es für alles Seltsame eine ganz natürliche Erklärung. Vielleicht ein kaputter Schornstein?
Sie schien doch ganz nett zu sein. Auf welch einer dünnen Eisfläche befanden sie sich nur mit ihren absurden Verdächtigungen.
Besenritte im 21. Jahrhundert? Sicher hatte die gute Frau Wichtig ein Likörchen zu viel genossen, als sie in der Hexennacht aus dem Fenster geblickt hatte. Naja und die Kräuter? Schließlich lebte man nicht hinter dem Mond, sie alle hatten schon einmal von medizinischen Marihuanna gehört.
Die Neugier obsiegte über die leisen Zweifel bei einigen, auch das versprochene Geschenk reizte, und so folgten alle ohne Ausnahme dem gebeugten Mütterchen zum windschiefen Häuschen.
Der heiße Wein und die Pralinen sahen köstlich aus und dufteten himmlisch, alle griffen beherzt zu, lachten, scherzten und schüttelten die Köpfe über ihr dummes und kindisches Verhalten bis…
…die ersten anfingen, wirres Zeug zu reden. Andere lallten, wieder andere fielen wie Kartenhäuser in sich zusammen, schlugen auf dem Boden auf und wandten sich in Krämpfen.
Hämisch kicherte die alte Hexe über die einfältigen Leute.
„Ach ich liebe das 21. Jahrhundert! Keiner glaubt mehr an Hexen und die Geschöpfe der Nacht. Alle sind viel zu höflich, um einen zu verdächtigen. Jeder kümmert sich nur noch um sich selbst. Wohin ist euer 6. Sinn entschwunden? Oder seid ihr nur zu gut erzogen? Was für eine wunderbare Zeit! Niemand kennt mehr die alten Gebete und die Rituale, die uns dunkle Wesen in Schach halten oder bannen.“
Zu den schreckensbleichen Dorfbewohnern gewandt, deren letzte Minuten nun anbrachen, sprach sie mit hochkreischender Stimme:
„Menschlein, ihr habt es mir leicht gemacht und dürft deshalb zur Belohnung noch Zeugen sein, wie ich das Portal für das Unheil öffne und meine Hexenschwestern und meine Vampirbrüder in eure Welt hole.“.
Wild kichernd begann sie Stabschwingend, Zaubersprüche in einer vergessenen Sprache zu murmeln und ein unheilvolles Brausen und Blitzen erfüllte die Lüfte. Ein Schuss hallte durch die Stube und die Hexe brach mit überraschtem Gesicht zusammen. Rettung in letzter Sekunde, das Portal löste sich auf, bevor sich etwas Böses aus der Parallelwelt materialisieren konnte.
Der spießige Lodenhut-Mann erfreute sich bester Gesundheit, hatte er doch seinem Instinkt vertraut und nichts zu sich genommen.
Er hatte Luzifers Kreatur mit einer geweihten Silberkugel niedergestreckt. Sofort rief er die Ambulanz und gab eine Fliegenpilzvergiftung als Ursache an, danach befolgte er Schritt für Schritt die Anweisungen seiner Ahnen wie man sich richtig und ein für alle Mal eines dämonische Wesens entledigte.
Zum Glück hatte er immer sehr für alte Schriften interessiert und alles zu diesem Thema gelesen, was er finden konnte!
Darum die Moral von der Geschicht, Leut vergesst das Lesen und die Traditionen nicht!