Erster
Käsemond
Ein zersauster, schmutziger Straßenkater versteckte sich im Gebüsch, welches in einem dieser hässlichen Pflanzkübel aus Waschbeton wuchs. Wieso waren so viele Menschen auf den Straßen? Bei dem kühlen, grauen Novemberwetter hetzten sie normalerweise schnell vorbei, um bald in ihre warmen Wohnungen oder eine der gut gefüllten Kneipen zu kommen. Und was hatten diese hell erleuchteten Kugeln zu bedeuten, die weit über ihren Köpfen schwebten?
Das musste irgendein Fest sein. Schön. Bei solchen Anlässen warfen sie gerne leckere Speisereste ins Gebüsch, die oft noch warm waren und verführerisch dufteten. Mit urinierenden Homo Sapiens musste der Kater nicht rechnen. Sie pinkelten nur bei Dunkelheit ins Gebüsch, oder wenn nicht so viele andere Menschen in der Nähe waren. Der Kater hatte dieses menschliche Verhalten erkannt, verstehen konnte er es aber nicht. Was war so schamhaft daran, seine Duftmarke zu hinterlassen?
Sie redeten etwa von „Mauerfall“, von „Wiedervereinigung“, „Osten“, „Westen“ oder „Jubiläum“. Manche fluchten auch heimlich vor sich hin. Einig waren sich diese Menschen nie. Viele dieser Worte hatte er schon oft von den Menschen in diesem Bezirk der Stadt gehört, aber das Wort „Lichtgrenze“ war ihm neu. Darunter konnte er sich beim besten Willen nichts vorstellen.
Der alte Kater hatte Hunger. Außer einem kleinen Stückchen Bratwurst konnte er noch nicht viel erbeuten an diesem Abend. Er schaute in den Himmel und da entdeckte er sie: Eine Maus war irgendwie auf eine dieser Leuchtkugeln geklettert und tänzelte, bewundernswert grazil, auf dieser Kugel. Es war wie die Erscheinung eines Mäuseengels auf dem Käsemond.
Der Jagdtrieb des Katers ließ es nicht zu, die Maus zu ignorieren. Nur wie sollte er sie erreichen? Mit einem Sprung würde er seine alten Knochen überanstrengen. Er würde abrutschen und zwischen erschrocken Menschen landen, die in solchen Situationen zu unberechenbaren Panikreaktionen neigen. Eine Leiter führte auch nicht hinauf zu dieser hell erleuchteten Verheißung. Herrgott im Katzenhimmel, wie würde diese frische Maus seinem Winterspeck gut tun!
Der Kater wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen. Es knallte irgendwo. Lichtblitze erschienen am Himmel. Das Knallen und Zischen wurde lauter, der Himmel erstrahlte in allen Farben, die der Kater erkennen konnte. Die Menschen fingen an zu singen, zu schreien, zu pfeifen, zu johlen und hielten tausendfach diese komischen flachen Dinger in die Luft, die auf der Rückseite leuchteten und mit denen sie sich sonst gern ein Ohr wärmten.
Dann löste jemand einen Verschluss unterhalb der Lichtkugel. Die kleine Maus schwebte auf ihrem Käsemond, zusammen mit unzählig vielen, genau gleichen Käsemonden in den Himmel. Da er sie nun nicht mehr fressen konnte, wünschte der alte, hungrige Kater der Maus wenigstens noch viel Glück auf ihrer Reise in die Geschichte.