Ich bin doch ihr Mann!
Gestern hat mir meine Frau erzählt, dass sie unsere Tochter mit einem jungen Mann gesehen hat. Unsere kleine Tochter! Wie ist sie nur plötzlich so erwachsen geworden? Wie sind wir nur plötzlich so alt geworden?
Wir sitzen abends vor dem Fernseher, meine Frau und ich. Es ist friedlich, die Kinder sind beide unterwegs. Meine Frau arbeitet an ihrer Strickerei.
Ihre Hände sehen alt aus. Wie die ihrer Mutter, damals als diese noch oft bei uns war.
Ihre Mutter war so altmodisch, hat die Milch vor das Fenster gestellt, obwohl wir doch einen Kühlschrank hatten! Was da wohl die Nachbarn gedacht haben? Sie dachte sie wüsste immer genau, was richtig ist für das Kind, für meine Frau, für mich. Wieso begriff sie nicht, dass wir unser eigenes Leben führen, meine Frau und ich? Ich musste sie schließlich bitten, weniger häufig zu kommen, sonst hätte ich sie irgendwann noch angebrüllt. Dass sie dann gar nicht mehr kam, war ja nicht meine Schuld.
In dem Fernsehkrimi, den wir gerade sehen, entsteht eine unangenehme Schweigepause. Ich höre das Ticken unserer Uhr, ein Erbstück von ihrer Großmutter. Wieso reden wir nicht mehr? Damals haben wir viel geredet, wir haben über gemeinsame Träume geredet. Jetzt reden wir gar nicht mehr. Ich weiß nicht, was sie für Träume hat. Sie redet nicht mit mir. Sie wirkt zwar nicht unzufrieden. Aber ich weiß gar nicht, was in ihr vorgeht. Ich habe eigentlich keinen Grund, mich zu beklagen, sie macht alles, das Haus ist sauber, das Essen gekocht, die Kinder haben sich gut entwickelt, sie geht auch noch arbeiten. Aber manchmal wünsche ich, es wäre alles anders, nicht jeder Tag, wie der Tag zuvor.
Manchmal wünsche ich, das Essen stünde nicht pünktlich auf dem Tisch, obwohl ich mich bereits auf der Fahrt nach Hause darauf freue. Nach so einem langen Arbeitstag, da braucht man etwas Ruhe abends. Aber was bleibt da noch? Die Urlaube, eine neue Stereoanlage, ab und zu eine Geschäftsreise, die Skatabende. Wieso steht sie nicht einfach mal auf, jetzt gleich, und küsst mich? Nein, es gibt diese ungeschriebenen Regeln: ein Kuss vor dem Zubettgehen, ein Kuss zum Abschied. Aber will ich das?
Sie sieht alt aus. Man lebt so nebeneinander her. Ist zufrieden, kann sich auf den anderen verlassen. Damals als ich arbeitslos wurde, da war es gut, dass sie da war. Sie hat mich in den Arm genommen, wenn ich nachts Albträume hatte und schreiend aufgewacht bin. So etwas verbindet.
Aber dann war sie nur noch für die Kinder da. Wir verbrachten zwar Zeit miteinander, aber wirklich da war sie nicht. Ich habe sie einmal beobachtet, wie sie draußen mit den Kindern einen Schneemann gebaut hat. Da war sie richtig glücklich. Ihre Wangen waren von der Kälte gerötet und sie ist ausgerutscht und in den Schnee gefallen und hat gelacht und sich die Haare aus dem Gesicht gestrichen. Warum ist sie nicht so glücklich mit mir? Ich bin doch ihr Mann!
Draußen schneit es. Dicke Flocken segeln am Fenster vorbei. Auf dem Boden liegt bereits eine dicke Schicht Pulverschnee.
Ich sehe meine Frau an, sie ist immer noch in ihre Strickarbeit vertieft. Den Fernseher scheint sie nicht zu beachten. Sie sieht aus, als wäre sie in Gedanken. Vielleicht träumt sie auch von früher, von einem anderen Leben, was hätte sein können. Was hätte sein sollen.
Wieso sagt einem das keiner vorher? Es reicht einfach nicht, Kinder zu bekommen und eine Arbeitsstelle und ein Haus und Geld. Es ist, als fehlte der Klebstoff dazwischen und alles fällt auseinander. Es ist nichts mehr da, was einem etwas bedeutet. Dabei habe ich so gekämpft. Um alles, was mir wichtig erschien. Jetzt möchte ich nur einen glücklichen Moment mit meiner Frau. Nicht einfach nur satt und warm und zufrieden. Sondern glücklich.
Ich drehe mich zu ihr um und sage sanft ihren Namen. Meine Stimme klingt heiser, so als hätte ich sie länger nicht benutzt. Ich räuspere mich. Meine Frau schreckt auf, schaut auf die Uhr und sieht mich überrascht an.
"Lass uns einen Schneemann bauen", sage ich.