Mehr brandheiße Inhalte
zur Gruppe
Sachsen
3528 Mitglieder
zur Gruppe
Crossdressing
1826 Mitglieder
Das Thema ist für dich interessant? Jetzt JOYclub entdecken

Das Mädchen

*******Mae Frau
789 Beiträge
Themenersteller 
Das Mädchen
Diese Art der Kurzgeschichten ist für mich Neuland. Aber es ist die Erste, die von Anfang bis Ende hier steht, nicht nur als Ausschnitt. Eigentlich sollte die Geschichte eine ganz andere Richtung nehmen und auch oder deswegen etwas länger werden, aber die Geschichte hatte ihren eigenen Kopf. Also bin ich der neuen Richtung gefolgt.
Sicher nicht neu das Thema aber anders.



Das Mädchen

Langsam schlenderte sie die Straße hinunter. Ihre Schuhe machten kaum Geräusche auf dem Gehweg. Abgesehen von dem Knirschen des Sandes, der noch immer allgegenwärtig und ein Grund war, warum sie keines ihrer teuren Paar Pumps trug.
Jedenfalls nicht ausserhalb des Büros. Sie hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, ihre Schuhe im Büro zu wechseln. Ihre gefütterten Winterstiefel waren eben nichts für ein elegantes Kostüm, wie sie eines trug. Ausserhalb der Arbeit war es ihr relativ egal, was andere über diese Zusammenstellung dachten. In Berlin gab es nur einen Dresscode: Individualität. Wo sonst sah man so einen eleganten und geschniegelten Büroaffen mit riesigen weißen Sennheiserkopfhörern auf den Ohren und lila Palituch um den Hals auf die U-Bahn warten?
Während sie sich durch die frühe Dunkelheit dieses Dezemberabends treiben ließ und eher unbewusst den an ihr vorbeieilenden Passanten auswich, wanderten ihre Gedanken davon. Sie dachte daran, wann ihr wohl Mr. Right über den Weg laufen würde und wo sie sich dazu am besten postieren sollte. In einer der teuren Bars in Mitte? Oder sollte sie öfter mal ins KaDeWe gehen und zufällig ihr Taschentuch fallen lassen? Bei dem Gedanken lächelte sie betrübt. Dann seufzte sie leise und beschleunigte ihre Schritte.
Die Hände tief in die Taschen ihres kurzen Wollmantels vergraben, das Gesicht fast zur Hälfte von dem riesigen handgestrickten Schal verdeckt, trotzte sie der Kälte. Als sie einer Gruppe laut diskutierender Jugendlicher auswich, sah sie sich zufällig im Spiegelbild einer Scheibe.
Sie zog den Schal unter das Kinn, um sich ihr Gesicht anzuschauen und strich sich dabei mit gespreizten Fingern gedankenverloren durch die Haare bis sie so lagen, wie sie es wollte.
Dann betrachtete sie den Rest ihres Gesichtes. Sie hatte sich schon vor langer Zeit damit abgefunden, dass es nur wenige gab, die sie auf Anhieb als hübsch bezeichnet hätten.
Ihre Augenbrauen waren eine Spur zu energisch; zu gerade und vielleicht auch eine Spur zu dicht. Doch sie hasste es, sie im Bogen zu zupfen oder zupfen zu lassen. Sie hatte es einmal probiert und gemerkt, dass sie es unecht aussehen ließ. Nicht mehr wie sie.
Ihre Augen standen eindeutig zu weit auseinander.
Das sie aber wundervolle lange und dichte Wimpern hatte, fiel da kaum auf, so genau schaute schon keiner mehr hin. Nur ihre Nase, die gefiel ihr gut. Nicht zu groß und nicht zu klein.
Und ihr Mund? Im Moment war er zu einer strengen Linie zusammengepresst. Aber auch sonst sah er eher streng aus. Ein Mund, der selten lächelte. Was nicht daran lag, das sie unfreundlich wäre. Es lag daran, dass sie niemanden hatte, mit dem sie freundlich hätte sprechen können. Im Büro wurde sie zwar respektvoll behandelt, aber man sprach immer mit einer gewissen Befangenheit in ihrer Gegenwart. Keine Gelegenheit also, freundlich zu sein. Und bisher hatte sie auch noch niemand gefragt, ob sie nicht nach Büroschluss noch in eine Bar mitkommen wollte. Und in den Geschäften? Sie konnte die freundlichen Verkäuferinnen an einer Hand abzählen.
So ging sie allabendlich allein aus dem Gebäude. Die Hände tief in die Taschen ihres Mantels vergraben.
Plötzlich wurde sie aus ihrer Versunkenheit gerissen. Etwas stimmte mit ihrem Spiegelbild nicht mehr. Ihre Augen waren dunkler geworden. Und größer. Eindeutig. Und der Mund...sie stieß erschrocken einen Schrei aus, als sie erkannte, dass ein Gesicht von der anderen Seite der Scheibe sie anschaute und sie anlächelte und sie stolperte einen Schritt zurück. Genau in einen älteren Herren hinein, der sie aber mit seiner um ein vielfaches größeren Leibesfülle einfach beiseite und von den Füßen schob. Mit den Armen ins Leere greifend, fiel sie fast der Länge nach hin. Auch wenn sie es schaffte, sich mit den Händen abzufangen, um nicht mit dem Gesicht auf dem Boden zu landen; es war schmerzhaft genug und sie beeilte sich wieder auf die Füße zu kommen.
Dann betrachtete sie ihre Hände. Die begannen immer heftiger wehzutun, denn die kleinen kantigen Steinchen des Streudienstes hatten sich schmerzhaft in ihre Handflächen gebohrt. Vorsichtig bewegte sie die Innenflächen gegeneinander, um die Steinchen abzustreifen.
Ob es auch blutete, konnte sie nicht erkennen, dazu waren sie einfach zu schmutzig. Die Hände leicht von sich weggehalten, schaute sie sich suchend um...und zuckte zusammen, als eine helle Stimme neben ihr, über ihr sagte: „Komm rein. Du kannst deine Hände bei mir waschen.“ Sie drehte sich der Stimme entgegen. Und erkannte die dunklen Augen wieder.
Sie nahm sich die zwei Sekunden um das Mädchen auf der Treppe neben ihr genauer zu betrachten. Die Arme vor der Brust verschränkt, hielt sie eine dunkle Strickjacke zusammen. Sie trug Filzlatschen und hatte buntgestreifte Strumpfhosen oder lange Strümpfe unter einem knielangen schwarzen Rock an. Und sie hatte die kürzesten Haare, die sie seit langem bei einer Frau gesehen hatte. Zudem waren sie dunkel, fast schwarz, mit einigen dunkelroten Strähnen darin und sie standen kunstvoll vom Kopf ab.
Das bemerkenswerteste aber war das Gesicht: große, dunkle Augen...und der Mund...und -
„Jetzt komm schon rein. Es ist kalt hier.“ Das Mädchen drehte sich um und ging ihr voraus in den kleinen Laden. Drinnen empfing sie Wärme und ein Schwarm unterschiedlichster Gerüche. Sie sah eine kleine Theke mit einer Kasse und einer Waage darauf. Die Wände waren voll mit Regalen, bis hoch mit akurat beschrifteten Gläsern vollgestellt. Sie wollte ihren Schal aufmachen, doch das Mädchen kam ihr zuvor. Sie nahm ihr den Schal und auch den Mantel vorsichtig ab. Darunter kam ihr Bürokostüm zum Vorschein.
„Sie verkaufen Tee?“ Das war sowohl eine Frage als auch eine Feststellung. Und die Frau bereute ihren Ausruf gleich wieder, denn der Blick, den ihr das Mädchen daraufhin über die Schulter zuwarf, war eindeutig amüsiert.
Das Mädchen machte einen Schritt zur Seite und zog einen bunten Vorhang auf: zum Vorschein kam ein kleines Bad. Ein viereckiges Emaillewaschbecken an der Wand, darüber ein fauchender Warmwasserboiler. „ Nimm lieber das kalte Wasser. Das Warme ist wieder zu heiß. Das blöde Ding ist kaputt und lässt sich nicht mehr verstellen.“ Sie machte eine kurze Pause um der Frau beim Händewaschen zuzuschauen, dann fuhr sie fort: „Ich bin Lilly. Stolze Besitzerin des kleinsten Teegeschäfts in diesem Viertel.“ Die Frau sah Lilly an und sagte dann leise: „ Ich heisse Alexandra.“ Sie räusperte sich und sprach dann lauter weiter: „ und ich arbeite in einem Büro in dem Hochhaus um die Ecke.“
Als sie zum Handtuch greifen wollte, kam Lilly ihr zuvor. Sie nahm die verletzte Hand und drehte die Handfläche nach oben. Dann begann Lilly, die Innenfläche vorsichtig trocken zu tupfen. Doch offenbar nicht vorsichtig genug, denn Alexandra zuckte kurz mit der Hand, als Lilly an eine blutende Stelle kam. Lillys Stimme war leise und sanft: „Halt still. Ich bin gleich fertig. Die andere Hand sieht ja nicht so schlimm aus.“
Lilly ließ die blutende Hand nicht los. Sie zog Alexandra hinter sich her in ein anderes kleines Kämmerchen. Dort musste Alexandra sich auf einen Stuhl setzen während Lilly aus einem Schrank einen Verbandkasten kramte. Sie beugte sich über die Hand und begann die Wunde zu verbinden. Alexandra war es etwas unangenehm, so weit in den offenherzigen Ausschnitt von Lillys Top hineinschauen zu können, doch spürte sie auch die Wärme, die von Lilly ausging. Eine seltsame Aura umgab dieses Mädchen, das so intensiv nach Tee roch und jetzt so zart ihre Hand versorgte.
Darum schloss sie lieber die Augen und konzentrierte sich auf den Schmerz in ihrer Hand. Aber vor dem Gefühl, das Lillys Hände in ihr auslösten, konnte sie sich nicht verschliessen. Sie konnte nicht verhindern, dass ihr Gesicht anfing zu brennen und das ihr Atem schneller ging.
'Du machst dir gar nichts aus Frauen. Also lass dich von ihr nicht aus der Ruhe bringen.' versuchte sie sich einzureden.
Doch ohne dass sie es verhindern konnte oder überhaupt wollte, hob sich ihre freie Hand und berührte Lilly zart an der Schulter. Plötzlich das Verbinden unterbrechend, schaute Lilly sie mit ihren dunklen Augen an. Alexandra hatte das Gefühl, dass Lilly bis in den hintersten Winkel ihrer Seele schaute. Und sie kam sich unausprechlich nackt dabei vor. All ihre Ängste, all ihre unterdrückten Sehnsüchte und Träume lagen vor Lilly ausgebreitet wie ein offenes Buch. Ihre dunklen Augen schienen immer größer zu werden...bis Lillys Lippen auf denen Alexandras lagen und sie mit unendlicher Sanftheit küssten.
Alexandras Finger wanderten die Schulter hinauf, am Hals entlang und vergruben sich in Lillys Haaren. Ihre halb verbundene Hand um Lillys Taille legend, zog Alexandra, ohne den Kuss zu unterbrechen, sie auf ihren Schoß. Doch dann löste sich Lilly von Alexandras Lippen. Sanft aber bestimmt nahm sie auch die Hand von ihrer Taille und erhob sich. Sie schaute kurz auf Alexandra und lief dann aus der Kammer.
Alexandras Herz raste, in ihrem Kopf liefen die Gedanken kreuz und quer. Sie fühlte eine brennende Röte über ihre Wangen ziehen als sie daran dachte, was sie eben getan hatte. Mehr provisorisch befestigte sie das Ende des Verbandes und erhob sich langsam. Plötzlich überfiel sie Kälte und Angst. Dieses Mädchen hatte mit ihrem Kuss etwas geweckt, was sie schon lange verloren wähnte. Und nun, da das Mädchen den Raum so plötzlich verlassen hatte, glaubte sie, dieses neu entdeckte Gefühl allein nicht ertragen zu können. So ging sie ihr nach.
„Lilly?“ Sie schaute in das kleine Bad, das ohne Lilly ganz anders aussah und in den Verkaufsraum, doch nirgends war eine Spur von ihr.
Plötzlich ging die Tür auf, und ein älterer Mann in brauner Kordhose und Strickjacke betrat das Geschäft. „Entschuldigung, das sie warten mussten. Aber ich musste schnell Wechselgeld holen. Was kann ich ihnen anbieten?“ Er trat hinter die Theke und schaute Alexandra an. Sie zwang ihre Stimme zur Ruhe als sie sagte: „ Ich suche Lilly. Ihr gehört doch das Geschäft hier, oder? Können sie mir sagen, wo sie hingegangen ist? Eben war sie noch hier.“
Der Mann schaute sie an wie eine Erscheinung. Dann trat er langsam einen Schritt zurück und setzte sich auf den Stuhl, über dessen Lehne der Mantel und der Schal von Alexandra hingen. Er schaute an ihr vorbei, als er leise anfing zu erzählen:
„Meine Tochter Lilly ist vor fünfzehn Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen. Damals gab es einen Heisswasserboiler in dem kleinen Bad nebenan, der war aber defekt. Er ließ sich nicht verstellen. Einmal wollte sie es doch wieder versuchen und dabei bekam sie einen Stromschlag. Sie war sofort tot.“
Alexandra schaute auf den Verband an ihrer Hand. Er war schlecht gewickelt. Wie es eben aussieht, wenn man sich mit einer Hand selbst einen Verband anlegt.
Herbst 2018
***to Mann
4.270 Beiträge
@Bettie_Mae
Danke für deine Geschichte.

Sehr feinfühlig und eben auch geheimnisvoll geschrieben.

Da wünsche ich mir auch, einmal eine solche Erfahrung zu machen.
Orange Session
*********katze Frau
8.077 Beiträge
WOW!
Erstklassig ge- und beschrieben! Du vermittelst Stimmungen und Bilder perfekt.

Eine Stelle ließ mich als Leser die Stirn runzeln:

Langsam schlenderte sie die Straße hinunter. Ihre Schuhe machten kaum Geräusche auf dem Gehweg. Abgesehen von dem Knirschen des Sandes, der noch immer allgegenwärtig und ein Grund war, warum sie keines ihrer teuren Paar Pumps trug.

Dabei sah ich eine sandige Straße in einem kleinen Dorf vor mir. Auf Berlin wäre ich nie gekommen. Später verwandelt sich der Sand ja auch in kleine Kiesel.

Danke für die Story. Ich mag mystische Enden!

LG
Katzerl
tolle story, sanft, vielschichtig und schön erzählt!
*g*
*****har Paar
41.021 Beiträge
JOY-Team Gruppen-Mod 
Bemerkenswert erzählt ...

(Der Antaghar)
*******Mae Frau
789 Beiträge
Themenersteller 
Ich danke euch. *rotwerd*
**********sia22 Frau
329 Beiträge
wunderschön.
Ich mag zwar auch ein mystisches Ende, aber in diesem Fall hätte ich mir Lilly doch sehr lebendig gewünscht, weil sie vor allem auch so rüberkommt. *ja*

Vielleicht sollte sie sich in den Dialogen etwas mehr zurückhalten, u.a. die Aussage "Ich betreibe das kleinste Teegeschäft..." ist dann zu irreführend, weil es ja letztlich nicht stimmt.

LG, Ana
*******Mae Frau
789 Beiträge
Themenersteller 
@ LadyAnastasia:
Bis zu der Stelle, an der Lilly sich frei macht und geht, war der Fortgang der Geschichte auch so gedacht. Nämlich das LIlly wirklich lebendig ist (und bleibt). Denn ich wollte Alexandra auf eine Suche zu sich selbst schicken, mit Lilly als Schlüssel.
Aber dann ging die Geschichte einen anderen Weg und ich wollte sie nicht zwingen.
Ich freu mich, das sie so gut ankommt.
***is Paar
299 Beiträge
Gut
Die Geschichte regte mich zum Nachdenken an.
Einige logische Ungereimtheiten, aber es muss nicht immer alles logisch sein.
Gut geschrieben, ich empfinde, du hast dich in der Geschichte einfach treiben lassen, kanntest zwar den roten Faden aber warst über das Ende selbst überrascht.
Abgesehen von den bereits erwähnten Kleinigkeiten gefällt mir die Geschichte sehr gut *top*
Vor allem Dein Stil hat es mir angetan - passt hier hervorragend.

Joe
*******an_m Mann
3.834 Beiträge
Schöne Geschichte. Etwas, das gerade noch real war wird mystisch, das Ganze mit viel Gefühl erzählt und dazu noch eine Stimmung konsequent durchgehalten.

Ich hatte eine bestimmte Sorte Film vor Augen als ich das gelesen habe, leider fällt mir gerade (natürlich) kein Titel ein. Meist französische oder englische Filme, ungemütliches Wetter, die Farben sind etwas schmuddelig, die gane Szenerie ist irgendwie eng …
*******Mae Frau
789 Beiträge
Themenersteller 
@ Christian: kennst Du den Film "Affinity"?
Gibts leider nirgends auf Deutsch, aber in englisch kommen die verschiedenen Dialekte viel besser.
An den hab ich Ab und An gedacht.
Anmelden und mitreden
Du willst mitdiskutieren?
Werde kostenlos Mitglied, um mit anderen über heiße Themen zu diskutieren oder deine eigene Frage zu stellen.