Hotel am Alter Markt
< Beginn eines Köln-Krimis >Hotel am Alter Markt
Der junge Mann lag tot am Ufer, während die Glocken von Sankt Petrus die Gläubigen zum Gebet mahnten. Die halbgeöffneten Lippen waren offensichtlich in seiner letzten Sekunde noch geküsst worden, denn in seinem Gesicht spielte ein glückliches Lächeln. Der nackte Körper ruhte friedlich auf einer Wiese am Ufer, der Fluss roch schwer und dumpf. Das Gras um ihn herum schimmerte blutrot. Eine Rentnerin, die um sechs Uhr morgens ihren Hund spazieren führte, entdeckte die Leiche und alarmierte die Polizei.
Als im Dom gerade die Frühmesse begann, und sich der Bahnhof mit den ersten Pendlern füllte, trafen vier Streifenwagen am Eingangstor des kleinen Parks ein. Die Polizisten sperrten das Areal weiträumig ab und drängten die zahlreichen Schaulustigen, die sich trotz der frühen Stunde zum Gaffen eingefunden hatten, nach draußen.
»Ein bildhübscher Bengel.« Verena Nowak kniete auf dem verdorrten Rasen und pfiff anerkennend durch die winzig kleine Zahnlücke zwischen ihren Schneidezähnen. Dabei spielte sie mit ihrer Zunge und erweckte kurz den Eindruck, als ob sie die geronnenen Tropfen vom flachen Bauch des Toten ablecken wollte. Der Vorgang dauerte nicht länger als eine Wimper benötigt, um vom Auge auf den Boden zu segeln. Dennoch bemerkte Kriminalkommissar Bernhard Schmitz das spontane Verlangen seiner Kollegin und musterte sie mit einem neugierigen Blick.
»Schade um ihn. Wer hat erst Sex mit dem Jungen und bringt ihn danach so bestialisch um?«
Aus dem blassroten Schein der Morgendämmerung schälte sich der Glutball der Sonne heraus. Köln bereitete sich auf den mittlerweile zwölften Hundstag im brütend heißen Sommer 1983 vor. Derweil die Hälfte der Bevölkerung noch in ihren Betten träumte, hockten die zwei erfahrenen Ermittlungsbeamten auf dem staubtrockenen Boden des kleinen Parks auf Höhe von Flusskilometer 688 und begutachteten aufmerksam jeden Quadratzentimeter des blutverkrusteten Körpers.
»Wie kommst du darauf, dass er vor seinem Exitus noch Geschlechtsverkehr ausgeübt hat?« Schmitz keuchte und wischte sich mit einem schmutzigen Taschentuch den Schweiß von der Stirn.
»Weil ich das spüre. Ich hätte gerne selbst mit ihm geschlafen. Aber du brauchst sicher noch die Ergebnisse aus der Gerichtsmedizin, bevor du mir glaubst.« Die Kommissarin lächelte und strich sich mit den Fingern der linken Hand langsam über ihr ansehnliches Dekolleté, weil sie wusste, dass sie ihren Partner damit nervös machte.
»Wärst du schon richtig wach, hättest du die Spuren von Lippenstift an seinem rechten Hoden bemerkt.«
»Natürlich muss der Urogenitaltrakt penibel untersucht werden«, schnaubte ihr Kollege und nieste, weil Blütenpollen seine Nasenschleimhaut reizten.
»Natürlich«, wiederholte sie leicht geistesabwesend, denn sie versuchte gerade, sich die allmählich zu einer Maske erstarrenden Gesichtszüge des Jungen einzuprägen.
»Gib mir Bescheid, wenn die Spermien noch was taugen. Vielleicht lasse ich sie mir nachträglich injizieren. Mit dem Knaben hätte ich hübsche Kinder gezeugt. Die Besten sterben jung.«
Köln stöhnte unter einer Hitzewelle, wie sie die Stadt seit dem Kriegssommer 1942 nicht mehr erlebt hatte. Ein stabiles Hoch über den Kanaren trieb seit zwei Wochen Saharaluft nach Norden und ließ die Temperaturen in Zentraleuropa auf über vierzig Grad ansteigen. Alte Leute starben in ihren kleinen Wohnungen und wurden oft erst nach Tagen aufgespürt, wenn fauliger Geruch durch Schlüssellöcher hindurch in die Treppenhäuser entwich. Die Krankenhäuser waren überfüllt mit Herz-Kreislauf-Patienten, Caritas und Diakonie versorgten die Obdachlosen pausenlos mit kühlen Getränken. Der Rhein dümpelte in seinem halbierten Bett träge vor sich hin. Er stand mehr, als dass er floss. An den bloßgelegten Uferrändern kamen die Konturen von verrosteten Kühlschränken und zerborstenen Fernsehschirmen zum Vorschein. Im Bezirk Porz war eine Fliegerbombe aus den schmutzigbraunen Fluten aufgetaucht und entschärft worden. Die Hunde hechelten und ließen ihre Zungen weit nach unten hängen. Selbst die Vögel schienen nicht mehr zu fliegen, sondern nur noch teilnahmslos auf den Ästen zu sitzen, deren Blätter sich bereits Anfang August dunkel verfärbt hatten.
...